Die Aktienmärkte in China sind seit der Ankündigung des Konjunkturprogramms im September stark gestiegen – auch zu Recht? Von Julian Howard*
Die Bewertungen, kombiniert mit wachsendem Optimismus, könnten den Markt noch weiter stützen. Der Mangel an einschneidenden Reformen deutet jedoch darauf hin, dass für Anleger Zurückhaltung vor einem größeren Engagement der beste Ansatz sein könnte.
Ist China nun reif für Investitionen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Anleger seit dem Ende September angekündigten Konjunkturpaket. Die Maßnahmen umfassten Zinssenkungen, Kredite für Aktienrückkäufe und die Zusage künftiger steuerlicher Unterstützungen. Vor allem die Aktienrückkäufe haben den Aktienmarkt beflügelt, so dass der Hang Seng Index seit Jahresbeginn bis zum 31. Oktober um über 19% und der CSI 300 Index im gleichen Zeitraum um fast 14% gestiegen ist.
Warum die chinesischen Verbraucher nur langsam Bilanz ziehen könnten
Dass etwas getan werden musste, war kaum zu bezweifeln. Chinas Verbraucher befinden sich inmitten einer Immobilienkrise in einer Flaute. Das Wirtschaftswachstum wird laut einer aktuellen Bloomberg-Umfrage im Jahr 2024 bei nur 4,8% liegen: unter dem offiziellen Ziel von 5% und weit unter den über 7% von vor zehn Jahren.
Auch wenn ein Anstieg des Aktienmarktes oft als positives Signal gewertet wird, ist es in Wirklichkeit so, dass ein Vermögenseffekt die Fundamentaldaten nicht verändern wird, da weniger als 10% der chinesischen Haushalte Aktien besitzen, wie aus einem Papier der School of Economics der Universität Liaoning aus dem Jahr 2020 hervorgeht. Zum Vergleich: In den USA liegt der Aktienbesitz laut Gallup bei über 60%, und ein starker Markt kann den Menschen ein Stück Sicherheit für ihre Finanzen geben. Die Investoren in China werden dieses Paket eher im Hinblick auf seine Auswirkungen jenseits des Börsenrummels betrachten müssen, um eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob und wie viel Kapital sie in das Land investieren wollen.
Diese Bewertung lässt sich wahrscheinlich am besten anhand von vier Hauptkriterien vornehmen: Stimmung und Konsum, Produktivität, Demografie und Landreform. Wie wir sehen werden, ist das, was das Konjunkturprogramm nicht anspricht, genauso wichtig wie das, was es tut. Was die Stimmung und den Konsum betrifft, so bleibt der Immobilienmarkt, wie bereits erwähnt, der Stolperstein, der die Verbraucher davon abhält, ihre persönliche Bilanz zu verbessern und sich zu entscheiden, wieder Geld auszugeben.
Die Nachrichtenlage an dieser Front bleibt düster. Nach offiziellen staatlichen Daten fielen die Preise für neue Eigenheime im August so schnell wie seit über neun Jahren nicht mehr, nämlich um 5,3% gegenüber dem Vorjahr. Eine Senkung der Zinssätze für bestehende Hypotheken sollte daher einen gewissen positiven Stimulierungseffekt haben. Doch die ANZ Bank schätzt, dass jegliche Ersparnisse in einen Konsum von nur 0,05% des geschätzten chinesischen BIP 2024 umgewandelt werden, so düster ist die derzeitige Konsumstimmung. […]
Die Produktivität ist ein weiterer Bereich, der Chinas Wirtschaftswachstum wieder näher an die alten sieben Prozent pro Jahr heranbringen könnte. Das Konjunkturpaket selbst ist jedoch ein weiteres Zeichen für einen Eingriff in die Wirtschaft, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass staatlich gelenkte Investitionen in bevorzugte Sektoren neu überdacht werden sollen. Elektrofahrzeuge (EVs) sind ein gutes Beispiel für das aktuelle Problem. Laut Bloomberg sammeln sich derzeit überschüssige Elektroautos auf unkrautüberwucherten Parkplätzen im ganzen Land, da nicht weniger als 100 Elektroautohersteller um die begrenzten Geschäftsmöglichkeiten im Inland konkurrieren, während sie auf den ausländischen Zielmärkten mit Protektionismus zu kämpfen haben. Diese Fehlallokation von Ressourcen beeinträchtigt die Produktivität und das Wachstum, indem sie nicht subventionierte, aber dynamischere Unternehmen in anderen Sektoren lähmt.
Auch die demografische Entwicklung wurde nicht thematisiert. Peking zögert, genaue Zahlen zu veröffentlichen, aus denen hervorgeht, dass chinesische Frauen auch nach der offiziellen Abschaffung der berüchtigten Ein-Kind-Politik im Jahr 2016 weniger Kinder bekommen haben. Seltsamerweise hat das Nationale Statistikamt 2017 die Veröffentlichung jährlicher Daten zu den Geburtenraten eingestellt. Der Internationale Währungsfonds veröffentlicht jedoch Zahlen zum Bevölkerungswachstum und schätzt nun, dass Chinas Bevölkerungswachstum bis Ende 2024 völlig zum Stillstand kommen wird. Sofern es nicht zu einer Produktivitätsrevolution kommt, wird sich der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter auf Dauer negativ auf die Wirtschaft auswirken. In einem offenen Eingeständnis räumte die Nationale Institution für Finanzen und Entwicklung im Juni ein: „Da die Bevölkerungszahl ihren Höhepunkt erreicht, zeigt China Anzeichen einer Japanisierung.“ […]
*) Julian Howard ist Chief Multi-Asset Investment Strategist bei GAM Investments
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Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams sowie verantwortlich für das Anleiheportal BondGuide (www.bondguide.de)