Mehr Innovationsunabhängigkeit: Ist das gut oder schlecht?

Am Montag ist in Peking die diesjährige Tagung des Nationalen Volkskongresses zu Ende gegangen. Das erklärte Ziel: mehr Innovationsunabhängigkeit.

Die strategischen Ziele für das laufende Jahr wurden dabei abgesteckt, und es wurde klar gemacht, die wirtschaftliche Dynamik des Landes ist längst noch nicht erschöpft.

Daneben wurden die Grundlagen gelegt, um in Forschung und Entwicklung sowie bei Innovation mehr Unabhängigkeit zu erreichen. Dazu sollen in den kommenden Jahren Sonderstaatsanleihen mit einer „ultralangen Laufzeit“ aufgelegt werden. Finanziert werden damit strategische Schlüssel-Forschungsvorhaben. Grüne Technologien gehören ebenso dazu wie die Chip- und Halbleiterentwicklung. Allein im laufenden Jahr sollen es dem Vorschlag zufolge 1.000 Mrd. Yuan sein, fast 130 Mrd. EUR.

Innovationsunabhängigkeit: Ist das gut oder schlecht? Spontan kommen einen die 1960er und 70er Jahre in den Sinn, als China sich „auf die eigenen Kräfte stützte“ und mit voluntaristischer Politik das Land eher an den Abgrund brachte als nach vorn. Erst mit der Öffnung zu Beginn der 1980er und der zunehmenden Integration in die Weltwirtschaft hat China zur Aufholjagd angesetzt, dabei freilich auf die wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen der Partnerländer setzend.

Allein bei Adaption ist es nicht geblieben. Gerade in den sogenannten neuen Technologien haben Chinas Ingenieure und Wissenschaftler, haben junge Start-up-Gründer begonnen, Maßstäbe zu setzen. Ging es zunächst darum, mit den entwickelten Industrieländern Schritt zu halten, zeigte sich bald auch in bestimmten Feldern, dass sie allmählich einen Schritt weiter, ja vorangehen können. In vier Jahrzehnten haben sich am Jangtse und Perlfluss Entwicklungen vollzogen, für die in Europa ein Jahrhundert und mehr notwendig waren.

Das wird freilich nicht überall auf der Welt mit Wohlwollen gesehen. China als sprudelnde Quelle von Gewinnen war willkommen. Als Wettbewerber beim technologischen Fortschritt ist es das weniger, wie die vergangenen Jahre, seitdem Donald Trump erstmals ins Weiße Haus eingezogen ist, deutlich zeigen. Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen tuen ein Weiteres dazu, dass versucht wird, den unlieben Konkurrenten im Fernen Osten in die Schranken zu weisen.

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Da wird mit Sanktionen operiert, anstatt sich durch Wettbewerb gegenseitig anzutreiben. Den Konkurrenten ausbremsen, statt den eigenen Unternehmen ein Umfeld zu schaffen, wettbewerbsfähiger zu werden. Das scheint nun auch in Europa die Devise zu sein. Auf Teufel komm raus.

Dass sich China dem nicht beugen wird, dürfte klar sein. Zu viel steht auf dem Spiel. Der mühevoll aufgebaute Wohlstand des Milliardenvolkes vor allem. Gut oder schlecht – das Streben nach Unabhängigkeit in der Innovation ist zuallererst die Antwort auf Abgrenzung, die außerhalb des Landes betrieben wird. Denn Risikominimierung ist längst nicht nur ein europäisches Muss.

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Vor allem werden sich die Europäer bald die Augen reiben. Denn das Gegenteil wird erreicht. China wird nicht zurückfallen, sondern eine gewisse Trägheit, ja Faulheit überwinden und innovativ im wahrsten Sinne des Wortes werden. Denn will das Land auch künftig den Ton mit angeben, kann es sich nicht mehr auf Anpassungen und Weiterentwicklungen verlassen. Es ist gezwungen, „wirklich innovativ“ zu werden, wie es viele in China sagen. Das ist positiv. Ohne Frage.

Gesagt ist damit nicht, auf internationalen Austausch könne verzichtet werden. Ganz im Gegenteil. Am Ende geht es um unsere gemeinsame Zukunft. Die erfolgreich zu gestalten, darauf kommt es an. Gemeinsam geht es auf jeden Fall besser. Und innovativer.

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Ausgabe 3/2023 Biotechnologie 2023 der Plattform Life Sciences ist erschienen. Die Ausgabe kann bequem als e-Magazin oder pdf durchgeblättert oder heruntergeladen werden.

Peter Tichauer

Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.