China ist zu bedeutend, um ignoriert zu werden

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Die chinesische Wirtschaft ist ins Wanken geraten, nicht zuletzt aufgrund der Probleme der Immobilienbranche in China. Von James Donald*

Ist die chinesische Immobilienkrise das Problem – oder nur ein Teil davon?

Nachdem der chinesische Immobilienkonzern Country Garden – einst der größte Immobilienentwickler Chinas – eine Kuponzahlung versäumte und im letzten Moment nachholte, wächst die Besorgnis der Marktteilnehmer über eine sich zuspitzende Immobilienkrise in China. Zeitgleich meldete das hoch verschuldete chinesische Immobilienunternehmen Evergrande in den USA Konkurs an. Diese Ereignisse haben die ohnehin schon gedämpfte Stimmung der Anleger gegenüber dem chinesischen Immobiliensektor und der Gesamtwirtschaft des Landes weiter verschlechtert.

Auch das Verbrauchervertrauen hat stark gelitten. Nach einem anfänglichen Boom im Zuge der Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft im ersten Quartal 2023 verzeichneten sowohl der chinesische Einkaufsmanagerindex (PMI) als auch die Exporte einen deutlichen Rückgang. China hatte gehofft, diesen Abschwung durch einen Anstieg der Inlandsnachfrage ausgleichen zu können. Entgegen den Erwartungen legen die chinesischen Verbraucher jedoch eine deutliche Kaufzurückhaltung an den Tag. In den letzten Monaten sind die Einzelhandelsumsätze nur wenig gestiegen, während die Ersparnisse der Haushalte größer geworden sind.

Welche Faktoren haben in China zu den aktuellen Turbulenzen geführt?

Die wirtschaftlichen Probleme des Landes gehen weit über den Immobilienmarkt hinaus. In den letzten Jahren hat Chinas Regierung das Konzept des „gemeinsamen Wohlstands“ verfolgt und dabei die Bereitschaft gezeigt, in ihrem Streben nach größerer Einkommensgleichheit nationale Champions zu stören. Dies hat zu bedeutenden Veränderungen in Sektoren wie zum Beispiel E-Commerce oder Online-Bildung geführt. Unternehmen waren gezwungen, der staatlichen Kontrolle mehr Bedeutung beizumessen als dem schnellen Umsatz- und Gewinnwachstum.

Gleichzeitig hat der Westen aus Gründen der nationalen Sicherheit Maßnahmen unternommen, um seine Märkte aktiv vor chinesischen Technologieprodukten zu schützen. Darüber hinaus belastete Chinas Allianz mit Russland im Ukraine-Konflikt die Beziehungen zum Westen und führte zu einem Rückgang ausländischer Investitionen.

Ist die chinesische Wirtschaft auf Wachstum ausgerichtet?

Bisher hat China keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, den Binnenkonsum anzukurbeln und Investitionen in Wachstumsbranchen zu lenken. Die Lockerung der restriktiven Maßnahmen zur Eindämmung von Immobilienspekulationen hat bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die öffentlichen Ausgaben gezeigt. Sollte bis 2024 keine Erholung eintreten, könnte dies das Risiko einer Deflation erhöhen. Schließlich hängen die wirtschaftlichen Aussichten des Landes von einer möglichen Trendwende ab. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für China ein Wachstum von 5,2% im Jahr 2023. Dieses Ziel kann unserer Meinung nach durchaus noch erreicht werden.

Ist China noch investierbar?

Anlagen in China können nach wie vor sinnvoll sein. Allerdings sind die Kapitalabwanderung und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage Anlass zur Sorge. Wir nutzen einen aktiven Ansatz, um die attraktivsten Gelegenheiten in China zu identifizieren, und suchen dabei gezielt nach Unternehmen mit einer hohen und nachhaltigen finanziellen Rentabilität. Dabei behalten wir auch das politische Risiko immer im Blick.

Welche Investmentgelegenheiten bieten sich aktuell in China?

Derzeit sind die chinesischen Unternehmen, die im MSCI China Index enthalten sind, so günstig bewertet wie nie zuvor. Entscheidend ist jedoch, jene Unternehmen zu identifizieren, die auf der richtigen Seite der Regulierungsreform stehen, und ihre finanzielle Stabilität anhand der gleichen strengen Kriterien zu bewerten, die man auch in jedem anderen Markt anwenden würde.

Welche weiteren Risiken bestehen?

Neben der potenziellen Gefahr einer Immobilienkrise stellt auch der Konflikt zwischen Taiwan und China ein Risiko dar. China dürfte in Bezug auf die Wiedervereinigung mit Taiwan eine friedliche Lösung anstreben, um eine gewaltsame Invasion mit ihren verheerenden Folgen zu vermeiden. Allerdings bleibt die politische Umsetzbarkeit einer solchen Lösung fraglich. Sollte China doch militärische Gewalt anwenden, wäre es vermutlich strengen westlichen Sanktionen ausgesetzt.

Ist China zu bedeutend, um es zu ignorieren?

Im Kontext von Emerging Markets-Investments ist China tatsächlich zu bedeutend, um ignoriert zu werden. Mit mehr als 1,4 Mrd. Menschen ist China das bevölkerungsreichste Land der Welt und verfügt zudem über die am schnellsten wachsende Mittelschicht weltweit. Chinesische Unternehmen machen zudem fast 30% des MSCI Emerging Markets (EM) Index aus. Eine Massenflucht aus China aufgrund politischer Risiken ist angesichts der Größe des Landes, seines wirtschaftlichen Wachstumspotenzials, seiner Marktkapitalisierung, seines Gewichts im MSCI EM Index und der Anzahl chinesischer Titel im Schwellenländeruniversum nicht sinnvoll. Anleger sollten bei China-Investments dennoch mit Vorsicht vorgehen.

Worauf sollten Anleger in Zukunft besonders achten?

Es stellt sich die Frage, ob die Untätigkeit der Regierung wirklich zu einem Einbruch des Immobilienmarktes und damit zu einer weiteren Verschlechterung des Verbrauchervertrauens sowie der gesamtwirtschaftlichen Lage führen wird. Anleger sollten deshalb in der Zukunft die Daten zum chinesischen Immobilienmarkt sowie jegliche Veränderung in der Politik genau beobachten, um die Aussichten für den Binnenkonsum und die Industrietätigkeit des Landes bewerten zu können.

*) James Donald ist Leiter der Emerging Markets-Plattform von Lazard Asset Management

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Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams sowie verantwortlich für das Anleiheportal BondGuide (www.bondguide.de)