Das Ziel ist gesteckt: China kann bis 2035 größte Volkswirtschaft sein

Chinas Wachstumsrate mag ihren Höhepunkt erreicht haben. Aber selbst bei 3,5% p.a. dürfte China vor 2035 die größte Volkswirtschaft der Welt sein. Von Robert Gilhooly*

Gerade besucht eine hochrangige chinesische Delegation Deutschland. Chinas Wachstumsrate mag ihren Höhepunkt erreicht haben. Aber die Größe seiner Wirtschaft bedeutet, dass selbst wenn sich das Wachstum in den nächsten zehn Jahren auf etwa 3,5% abschwächt, das Land immer noch etwa ein Drittel des weltweiten Wachstums ausmachen und vor 2035 die größte Volkswirtschaft der Welt sein wird.

Selbst in zehn Jahren wird China noch über ein beträchtliches Wachstumspotenzial verfügen, da das Pro-Kopf-BIP wahrscheinlich nur ein Viertel des US-BIP betragen wird, sodass es noch viel Potenzial zum Aufholen gibt.

China nähert sich beim Konsumverhalten dem Westen an

Die Art des chinesischen Wachstums werde sich ändern. Wenn Chinas Mittelschicht wächst, wird der Anteil des Konsums am BIP steigen. Chinas Konsum liegt bereits bei 50% des US-Konsums, und bis 2050 könnte er um fast 10% höher sein. Chinas alternde Bevölkerung wird die Angleichung des Konsumverhaltens an die Normen der Industrieländer verstärken. Der Konsum wird sich also zunehmend auf die Bereiche Wohnen, Gesundheit, Verkehr und Hygiene konzentrieren.

Bildung und Qualifikation gleichen Überalterung aus

Eine ‚Japanisierung‘ Chinas ist unwahrscheinlich: Natürlich gibt es einige Parallelen bei der Demografie, dem Immobilienabschwung, dem verlangsamten Wachstum, der Bedeutung des Exports und den Handelsspannungen mit den USA. Aber der Hauptunterschied liegt in den Entwicklungsstufen. Japan ist bereits Anfang der 1990er Jahre eine fortgeschrittene Volkswirtschaft gewesen. Das Pro-Kopf-BIP betrug etwa 70% desjenigen der USA.

Selbst wenn die chinesische Bevölkerung zu einem früheren Zeitpunkt überaltert, dürften die durch Bildung und Qualifikation erzielten Fortschritte bei den Arbeitnehmern einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung ausgleichen. Einfach ausgedrückt: Die Qualität der Arbeitskräfte kann die Quantität der Arbeitskräfte kompensieren.

Finanzstabilität und Immobilienmarkt im Fokus

Zudem unterscheiden sich das japanische und das chinesische Finanzsystem erheblich. Staatlich gelenkte Investitionen können potenziell jeden Rückzug des Privatsektors ausgleichen. Das verringert das Risiko einer ‚Bilanzrezession‘, die durch eine hohe Verschuldung des Privatsektors verursacht wird, die Ausgaben oder Investitionen behindert.

Immobilien stellen für China nach wie vor eine große Herausforderung dar. Die Bevölkerung Chinas mag zwar seit 2022 zu sinken begonnen haben, doch dies ist kein Zeichen für einen bevorstehenden Zusammenbruch der Wohnungsnachfrage. Die Urbanisierung ist noch nicht abgeschlossen. Den privaten Wohnungsmarkt gibt es erst seit den späten 1990er Jahren, sodass noch viel Modernisierungsarbeit zu leisten sein wird.

Robert Gilhooly

Ich gehe davon aus, dass die sich ändernde Bevölkerungszusammensetzung die Haushaltsbildung bis 2035 in einem angemessenen Tempo vorantreiben wird (jedes Jahr kommen etwa 4 Mio. Haushalte hinzu). Die Haushaltsbildung insgesamt wird wahrscheinlich erst gegen 2045 ihren Höhepunkt erreichen. Allerdings sind 4 Mio. zusätzliche Haushalte pro Jahr nur halb so viele wie zwischen 2000 und 2010. Zudem besteht das Risiko, dass nach dieser Periode des starken Wohnungsbaus überschüssige Bestände abgebaut werden müssen.

*) Robert Gilhooly ist Senior Emerging Markets Research Economist bei abrdn

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Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams sowie verantwortlich für das Anleiheportal BondGuide (www.bondguide.de)