Ein „Gegen“ ist nie gut

Deutschland China CAI

Das Jahr geht zu Ende. Eigentlich Zeit für Bilanzen. Doch in diesem Jahr fällt dies schwer. Hatte China die ersten beiden Corona-Jahre mit Bravour gemeistert, kann davon 2022 nicht mehr die Rede sein, mit allen Herausforderungen für die heimische Wirtschaft und globale Lieferketten.

Gleichzeitig hat sich das internationale Umfeld in einer Art geändert, wie es Anfang des Jahres wohl keiner vermutet hat. Aus allen Richtungen bläst ein stürmischer Wind, um es chinesisch-blumig auszudrücken. Auch in den deutsch- beziehungsweise europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen. Zwar hat der Präsident der EUKammer in China, Jörg Wuttke, erst vor wenigen Tagen im Interview mit dem chinesischen Sender CGTN erneut betont, europäische Unternehmen stünden zu ihrem Engagement in China und eine Absatzbewegung aus China in andere Regionen beobachte er nicht. Im Gegenteil investierten die Firmen weiter, um den Bedarf des chinesischen Marktes zu bedienen, für den es in seiner Größe de facto keinen Ersatz gibt. Gerade für deutsche Paradebranchen gelte dies, für den Fahrzeugbau etwa und die chemische Industrie.

Doch die Diskussionen in Brüssel und vielen europäischen Hauptstädten zeigen in eine andere Richtung. Der „strategische Rivale“ müsse in seine Grenzen gewiesen werden. Unabhängiger von China wolle man werden. So hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutsche Führungskräfte auf der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft in Singapur gedrängt, anstatt in China in anderen Asien-Pazifik-Ländern zu investieren. Ob ihm die Konsequenzen in ihrer ganzen Dimension bewusst sind? Wäre es nicht klüger, ein „Auch“ zu betonen? Denn Diversifizierung kann nie verkehrt sein, auf mehreren Beinen stehen ebenso nicht. Jedenfalls arbeitet sein Ministerium,wie zu lesen ist, an einer China-Strategie, die sowohl deutschem Engagement in China als auch umgekehrt chinesischem in Deutschland Fesseln anlegt.

Dass der grüne Wirtschaftsminister an einer eigenen Strategie arbeitet, während seine Parteikollegin Annalena Baerbock im Außenamt eine weitere ausarbeitet, mutet ohnehin seltsam an. Beiden dürfte gemein sein, den erkannten „Feind“ China wirtschaftlich und geopolitisch klein zu halten. Dabei wäre es schlauer, an Strategien
zu arbeiten, die darauf zielen, das eigene Land, die eigene Wirtschaft für den Wettbewerb zu stärken. So wie es China seit Jahren macht, in Europa freilich mit Argwohn beobachtet.

Strategien, die ein auf Wachstum orientiertes „Für“ formulieren, anstatt ein ideologisch determiniertes „Gegen“ – das ist es, was wir heute in Deutschland, Europa und auch in China mehr denn je brauchen. Strategien, die nicht fesseln, sondern gemeinsames Handeln anregen und fördern.

Insofern ist es gut, dass zum Ende des Jahres in Peking die Türen wieder weiter geöffnet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz war Anfang November in der chinesischen Hauptstadt. Einen knappen Monat später folgte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel. Nach drei Jahren wird wieder miteinander gesprochen, nicht per Video-Call. So bequem Zoom und Co. auch erscheinen mögen, persönliche Kontakte, bei denen auch kleine Gesten erkannt werden, sind allemal besser, um Steine aus dem Weg zu räumen und Gemeinsamkeiten auszuloten. So bleibt dann nur für das kommende Jahr der Wunsch, dass auch die beiden Strategie-Schreiber das persönliche Gespräch suchen und sich nicht nur aus der Ferne eine Meinung bilden.

Peter Tichauer

Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.