… und sage keiner, er habe es nicht gewusst

Peter Tichauer: Blick aus Qingdao 2

Blick aus Qingdao
Bild: Peter Tichauer

Porträt Peter TichauerAls die Europäische Union Mitte März vereint mit anderen westlichen Ländern ihre Xinjiang-Sanktionen gegen China verhängt hatte, vergingen nur wenige Stunden, ehe Chinas Antwort in Brüssel einging. Ob der klaren chinesischen Kante, die deutlich macht, dass das China von heute nicht mehr das China der Qing-Zeit ist, kochte die Empörung der westlichen Walter der Demokratie hoch: „unangemessen“, so unisono der Aufschrei. Doch was hat Brüssel eigentlich erwartet? Wo gibt es denn so etwas, dass ein Land auf Sanktionen anderer nicht reagiert? Hat die EU tatsächlich geglaubt, China werde die Sanktionen unbeantwortet lassen? Oder so reagieren, dass die EU darüber nur müde lachen würde?

Entrüstet mühen sich jetzt europäische Akteure Ursache und Wirkung zu verdrehen. China hätte es nur darauf abgesehen, das mühsam ausgehandelte Investitionsabkommen mit der EU scheitern zu lassen, war etwa zu lesen. Noch Wochen vor dem Showdown hatte sich der Präsident der EU-Kammer in China im Interview für „China insight“, das Wirtschaftsmagazin aus dem Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao, überzeugt gezeigt, dass China das Abkommen ratifiziert. „Zu 100 Prozent“, hatte er gesagt und weiter: „Das Problem sehe ich eher bei uns in Europa…, wo der Vertrag als Gesamtpaket betrachtet wird. Da geht es nicht nur um die Sicherung des Marktzugangs, sondern auch um Menschenrechte. Es bleibt zu hoffen, dass dies kein Wahlkampfthema in Europa wird. Die Wirtschaft hat leider keine Kontrolle darüber. Für uns ist dies eine unnötige Diskussion.“

Erinnern wir uns: Die Unterschriften unter dem Abkommen waren in den letzten Tagen des Jahres 2020 noch nicht trocken, da hagelte es in Europa schon heftige Kritik. Offensichtlich sind es die Europäer, die es auf ein Scheitern des Abkommens abgesehen haben. Dem „großen Bruder“ auf der anderen Seite des Atlantiks zum Gefallen, setzen sie bewusst wirtschaftliche Möglichkeiten aufs Spiel. Denn, um den EU-Kammer-Präsidenten noch einmal zu zitieren, „China gewinnt bei dem Deal relativ wenig“. Im Gegensatz zu Europa.

Denn mit jedem neuen Tag kochen die Emotionen höher. Auf die Erklärung europäischer Sportartikelhersteller und Textilhäuser, Xinjiang-Baumwolle nicht mehr beschaffen zu wollen zum Beispiel, reagierten Chinas Verbraucher umgehend. Handelsketten wie H&M oder Zara, denen auch sonst die Arbeits- und Lebensbedingungen der Nähbienen aus der dritten Welt so ziemlich egal sind, um billig verkaufen zu können, werden boykottiert. Unmut richtet sich ebenso gegen Adidas, Nike & Co. Wer am Ende den Kürzeren zieht, bleibt abzuwarten. Die Chinesen haben genug Alternativen. „Made im Ausland“ ist schon lange nicht mehr das Nonplusultra. Chinesische Marken können sich längst mit westlichen messen, und das nicht nur in der Bekleidungsindustrie.

Am Ende liegt vermutlich hier der Hase im Pfeffer. Xinjiang, über das eher vermutet und spekuliert wird, anstatt stichhaltige Beweise (die es offenbar nicht gibt) auf den Tisch zu legen, dient als Vorwand, um einen Wettbewerber in die Schranken zu weisen, der auch durch westliches Engagement zur zweitgrößten Volkswirtschaft aufgestiegen ist und auf die Spitzenposition strebt. Keinem gefällt es, von seiner angestammt geglaubten Führungsposition verdrängt zu werden. Also wird mit harten Bandagen gekämpft.

Ob Sanktionen helfen? Die Geschichte lehrt: Nein. Wir brauchen Dialog statt Konfrontation. Wir brauchen Kooperation, ohne den Partner zu bekehren. China, das dürfte klar sein, wird eher wirtschaftlich gestärkt aus der Konfrontation hervorgehen, die Europäer nicht. Denn einerseits werden die Chinesen zu eigenen Innovationen getrieben, die sie vorher eher schleifen lassen haben … und konnten. Bei Chips etwa. Vergessen wir andererseits auch nicht: Als im vergangenen Pandemie-Jahr die Märkte einbrachen, waren es die Chinesen, die deutschen Autobauern zu beachtlichen Umsätzen verhalfen. Europäer und Chinesen brauchen einander. Derzeit vielleicht die Europäer sogar mehr die Chinesen als umgekehrt.

Peter Tichauer

Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch