Das sind Schlagzeilen. MaschinenMarkt Online meldet am 19. Mai, „Kuka wird komplett vom Chinesen Midea geschluckt“. Der deutsche Vorzeige-Roboterspezialist erlebe ein „jähes Ende“. Empörung pur.
Passend dazu eine gestern bekannt gewordene fraktionsübergreifende Initiative im Deutschen Bundestag, die im Zusammenhang mit der bevorstehenden Tagung der Weltgesundheitsorganisation den Bundeskanzler auffordert, seine „Zeitenwende“ nun auch auf die Politik gegenüber China zu übertragen. Der Grüne Jürgen Trittin mahnt ein Überdenken der deutsch-chinesischen Forschungskooperation an, da sie von China für militärisch-strategische Ziele ausgenutzt werde. Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schmiedet als „Frontfrau“ europäisch-amerikanisch-asiatische Allianzen, um Abhängigkeiten abzubauen … und selbstverständlich einen Wettbewerber in die Schranken zu weisen, der immer weniger als Partner, sondern als systemischer Rivale betrachtet wird. – Wohin treiben wir?
Europäer wollen Welt nach eigenen Vorstellungen gestalten
Im 50. Jahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China das Gleis Richtung Konfrontation zu wechseln, anstatt Gemeinsamkeiten zu suchen und im gegenseitigen Interesse zu nutzen, scheint jedenfalls in eine Sackgasse zu führen. Argumente wie „Wandel durch Handel haben nicht funktioniert“ hinken, machen sie doch nur eins deutlich: Uns Europäern geht es darum, die Welt nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten. „Wertebasiert“, wie es im Grün geführten Auswärtigen Amt neuerdings heißt. Dass anderswo auf der Welt andere als unsere europäischen Werte Bedeutung haben, wird nicht akzeptiert. Egal, ob sie eine einmalige Aufholjagd ermöglicht haben wie der chinesische wirtschaftliche Aufstieg in den vergangenen mehr als vier Jahrzehnten, der es nicht nur ermöglicht hat, Hunger zu beseitigen, sondern Millionen Menschen aus der Armut zu befreien und einen „bescheidenen“ Wohlstand zu ermöglichen.
Chinas wirtschaftlicher Aufstieg und Deutschlands Wohlstand
Mehr noch: Chinas wirtschaftlicher Aufstieg hat nicht unwesentlich zum deutschen Wohlstand beigetragen. Weil Geschäfte mit China in Deutschland Beschäftigung gesichert und deutsche Unternehmen seit mehr als 40 Jahren in dem Land reichlich Gewinne eingefahren haben. Jeder weiß, deutsche Autobauer realisieren seit Jahren einen beträchtlichen Teil ihres Umsatzes in China. Für andere Branchen trifft es ebenso zu. Die Bilanz des Hamburger Hafens für das erste Quartal 2022, ebenfalls in diesen Tagen veröffentlicht, zeigt erneut die chinesische Bedeutung für den norddeutschen Handelsplatz: Knapp ein Drittel des Containerumschlags wurde mit China abgewickelt, wobei das Volumen im Jahresvergleich um 6,2 Prozent gestiegen ist. Gewinne können die Unternehmen auch künftig in China machen, ungeachtet der Tatsache, dass die Geschäftsbedingungen andere sind als vor vier Jahrzehnten. Die „billige Werkbank“ ist passé, Umweltschutzforderungen sind strenger, Gehälter deutlich höher. Lokaler Wettbewerb zwingt, neue Strategien zu entwickeln. Hightech ist mehr gefragt als Lowtech. Die Bedürfnisse des chinesischen Marktes rücken stärker in den Blick als der Reexport in die Mutterländer der ausländischen Unternehmen.
Kooperation statt Konfrontation
Ja, ohne Zweifel ist es strategisch klug, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, wie es so schön heißt. Gerade der April und der Mai haben gezeigt, was es für globale und lokale Lieferketten bedeuten kann, wenn Häfen wie der Shanghaier in den De-facto-Lockdown versetzt werden, einer Null-Covid-Strategie zu Willen, wie auch immer diese zu bewerten ist. Diversifizieren, andere Standorte in der asiatischen Region und weltweit stärker beachten – verkehrt ist das nicht. Das bringt zusätzliches Geschäft, das Potenzial des chinesischen Marktes ersetzen, kann es jedoch nicht.
Die „Abhängigkeit“ von China ist eine andere als die von russischen Energieträgern. Zu einem Problem wird sie für Deutschland, für Europa erst dann, wenn auf Konfrontation statt Kooperation gesetzt wird, um einen scheinbar systemischen Gegner in die Schranken zu weisen. Wenn im Zusammenhang mit dem russischen Ukraine-Krieg immer wieder davon die Rede ist, eine Welt der Blöcke und Einflusssphären, eine Welt des Ausspielens von Macht gehöre der Vergangenheit an, dann lasst unser Handeln in Asien und im Verhältnis zu China von ebendiesen Prinzipien leiten. Es gibt genug gemeinsame Interessen, genug gemeinsame Herausforderungen, genug gemeinsame Aufgaben. Daran lohnt es sich zu orientieren, anstatt jeden Tag einen neuen Ochsen durchs Dorf zu jagen und der Mähr von der „gelben Gefahr“ weitere Kapitel hinzuzufügen.
Peter Tichauer
Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.