Endlich. Bundeskanzler Olaf Scholz kommt nach China. Am 3. und 4. November will er in Peking sein. Vertreter der Wirtschaft hat er eingeladen, ihn zu begleiten. Gleichzeitig hat er erklärt, eine wirtschaftliche Abkopplung von China sei der falsche Weg.
Auf Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit musste nicht lange gewartet werden. Ob der Bundeskanzler denn nichts aus dem „Russland-Debakel“ gelernt habe, wird gefragt und gleichzeitig das Scheitern des von Willy Brandt geprägten Prinzips „Wandel durch Handel“ konstatiert.
Politische Einflussnahme oder Konkurrenz als Antriebskraft
Beim „Wandel durch Handel“ kommt es auf die Interpretation an. Wenn alleiniges Ziel ist, den Partner nach unserem Wertekanon zu verändern und sozusagen einen gesellschaftspolitischen Umbruch herbeizuführen, wird aufs falsche Pferd gesetzt. Deutschland wehrt sich in jüngster Zeit immer vehementer gegen politische Einflussnahme, die China etwa über seine Konfuzius-Institute oder durch Forschungskooperationen verstärke. Deutschland sieht darin eine Gefahr – berechtigt oder nicht. Warum beharren dann aber deutsche Politiker (insbesondere der derzeitigen Regierung) darauf, anderswo Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen, nicht akzeptierend, dass auch dort kulturell-historisch gewachsene Werte hochgehalten werden?
Wäre es nicht an der Zeit anzuerkennen, dass „Wandel durch Handel“ durchaus Erfolge gezeitigt hat. Im Falle Chinas ist das augenscheinlich. Eine beispiellose wirtschaftliche Aufholjagd, die das Land dank starken internationalen Engagements aus einer verlängerten Werkbank und einem scheinbar grenzenlosen Absatzmarkt zu einem Wettbewerber in vielen Branchen gemacht hat. Ist das das Problem? Anstatt darüber zu hadern, sollten wir uns darauf besinnen, dass Konkurrenz zuallererst Antriebskraft ist, bessere, effizientere Lösungen zu suchen, den Fortschritt voranzutreiben. Wer zudem das China aus den Anfangsjahren der Reformen mit dem heutigen vergleicht, kommt nicht umhin anzuerkennen, welcher Wandel sich im Alltag der Milliardenbevölkerung vollzogen hat. Dass beispielsweise eine Hunderte Millionen starke konsumfreudige Mittelschicht entstanden ist, die gern Waren deutscher und anderer europäischer Hersteller konsumiert, ist eben auch der intensiven wirtschaftlichen Zusammenarbeit in den vergangenen fünf Jahrzehnten zu verdanken.
Europäisches Demokratie-Modell kein Allheilmittel
Mag sein, dass spätestens an dieser Stelle aufgeregt aufgeschrien wird, was denn mit der Demokratie sei, an der es mangele. Der westlich geprägten selbstverständlich. Nun sollte aber jedem aufgeklärten Menschen bewusst sein, das europäische Demokratie-Modell ist weder global dominierend noch das alleinige Allheilmittel, Zukunftsfragen zu lösen. Den Europäern mag es passen oder nicht, Werte speisen sich in anderen Kulturen nicht aus denselben Quellen wie in Europa. Da kann noch so viel auf „Universalität“ gepocht werden, ändern tut es aber nichts. Friedlich miteinander zu leben, erfordert eben auch Toleranz den anderen gegenüber. Was ich von meinem Partner einfordere, muss ich bereit sein, ebenso zu geben.
Mir scheint jedenfalls, Olaf Scholz ist dies bewusst. Mehr noch. Aus dem „Russland-Debakel“ hat er durchaus richtige Schlussfolgerungen gezogen. Wir brauchen uns nur anzuschauen, wie die deutsche Wirtschaft in die Rezession schlittert. Ohne Zweifel ist es richtig, wirtschaftliche Alternativen zu haben und, wie es so schön heißt, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Mag sein, dass dies – vielleicht auch aus Bequemlichkeit – in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde. Eine Kursänderung anzumahnen, daran ist nichts auszusetzen. Sie umzusetzen, ebenfalls nicht. Derzeit scheint das Problem zu sein, dass „Zhongnanhai-Astrologen“ ein „Gespenst“ an die Wand malen, dabei selbst Konfrontationen schüren, die keinem dienlich sind, weder den Chinesen noch den Europäern.
Es ist gut, dass der Bundeskanzler persönlich kommt
Deshalb ist es nur gut, dass die Staatschefs Deutschlands und Chinas nach drei Jahren endlich wieder an einem Tisch sitzen werden, sich Auge in Auge austauschen und überlegen, wie beide Länder im 50. Jahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen einen Schritt weiter gehen und die Zusammenarbeit auf eine neue Stufe stellen können. Bei der Lösung globaler Konflikte ebenso wie bei der Gestaltung einer in die Zukunft weisenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Dabei geht es auch darum, Wohlstandsverlusten zu begegnen. Hier wie dort.
Dass es derzeit zwischen beiden Ländern eine Reihe von Dissonanzen gibt, begründet oder unbegründet, auch davor sollten wir die Augen nicht verschließen. Auszuräumen sind sie nur im Dialog. Seit dem Corona-Ausbruch vor fast drei Jahren erleben wir einen Online-Verhandlungs-Boom. Eine technische Lösung für Krisenzeiten, die allerdings das persönliche Gespräch nicht ersetzen kann. Denn wer offline zusammenkommt, hat nicht nur die offiziellen Runden am Verhandlungstisch zum Austausch, sondern auch das eher „private“ Plaudern nebenbei. Aus der Geschichte wissen wir, es sind gerade die nicht-offiziellen Pausen, die zu dem einen oder andere Durchbruch führen. Es ist also gut, dass der Bundeskanzler persönlich kommt. Überzeugt er seinen Gastgeber, dass „Öffnungspolitik“ jetzt auch heißen muss, Schranken im Reiseverkehr fallen zu lassen, um so besser. Denn neue Geschäfte lassen sich ebenso einfacher vereinbaren, wenn die Partner sich die Hand reichen können, im wahrsten Sinne des Wortes.
Peter Tichauer
Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.