3 Fragen an: Sebastian Hoffmann (Hawksford, China)

„Ein großer Vorteil für den Standort Shanghai besteht darin, dass inzwischen sogar eine Firmengründung ohne physische Büropräsenz möglich ist“, Sebastian Hoffmann (Hawksford) im Interview.

Bisher ging das Unternehmen gründen in China/Shanghai nur mit einer vor Ort Präsenz. Jetzt lässt sich das (Unternehmen/Projekt/Investition) auch aus der Distanz verwirklichen. Was hat sich geändert und wie funktioniert das?

Aufgrund der Pandemie wurden traditionellen Gründungsverfahren teilweise angepasst. In Anbetracht der Reisebeschränkungen sahen sich viele Unternehmen und ausländische Personen plötzlich damit konfrontiert, nicht physisch anwesend sein zu können. Dies ist ein Problem, da der traditionelle Bankkontoeröffnungsprozess normalerweise die Anwesenheit eines gesetzlichen Vertreters erfordert. Während die Einreise nach wie vor umfangreichen Bedingungen unterliegt, ist dieser Prozess für die Mehrheit der Investoren möglicherweise nicht mehr vollumfänglich realisierbar. Als Alternative haben einige Banken in China Videokonferenzen eingeführt, um die Identität des gesetzlichen Vertreters zu überprüfen und den persönlichen Besuch bei einigen lokalen Banken zu ersetzen. Alternativ kann die Nominierung einer verantwortlichen Finanzperson (FRP) und eines gesetzlichen Vertreters (Legal Rep.) auch in Abwesenheit des Investors die Eröffnung von Bankkonten sowie die ordnungsgemäße Steuerregistrierung ermöglichen. In diesem Fall würden sich die autorisierten Personen vor Ort im Auftrag des Unternehmens mit Reisepass und zugehöriger lokaler Mobilfunknummer, welche zur Kontaktaufnahme mit den Behörden zwingend notwendig ist, ausweisen.

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Sebastian Hoffmann leitet den Hawksford German Desk in China. Das Unternehmen berät seit 2009 Unternehmer, KMUs und multinationale Unternehmen bei Ihren geschäftlichen Bestrebungen in der Volksrepublik China.

Welche weiteren neuen digitalen Möglichkeiten gibt es sonst noch für Gründer und Investoren und was haben Sie für wichtige Tipps für Investoren, die das Thema going China angehen?

Ein großer Vorteil für den Standort Shanghai besteht darin, dass inzwischen sogar eine Firmengründung ohne physische Büropräsenz möglich ist. In diesem Fall wird dann eine so genannte virtuelle Adresse im Antragsverfahren als rechtsverbindliche Adresse des Unternehmens hinterlegt. Dies bedeutet, dass Geschäftsinhaber sogar entsprechende Lizenzen beantragen können, obwohl sie zum Zeitpunkt der Beantragung über keine physischen Büroräume verfügen. Die virtuelle Adresse wird von den Behörden der Freihandelszone zusammen mit den relevanten Unterlagen zur Verfügung gestellt, um den internen Bankkontoeröffnungs- und Compliance-Prozess zu durchlaufen. Sie wird auch von den lokalen Banken anerkannt, da es sich um eine von den Behörden ordnungsgemäß bereitgestellte echte Adresse handelt, unter der mehrere Firmen registriert sind. Derzeit ist diese Lösung speziell für Shanghai verfügbar. Die Adresse wird in der Regel innerhalb einer Freihandelszone zugewiesen. Es lohnt sich also durchaus, regelmäßig Updates zu neuen Richtlinien im Auge zu behalten, da diese Lösung möglicherweise auch für andere Provinzen von Interesse sein könnte.

Expansionsmodell Vorteile Nachteile
     
Export Schneller unkomplizierter Einstieg, geringes Risiko Geringe Kontrolle, geringes lokales Wissen, mögliche negative Umweltauswirkungen der Logistik
Lizenzierung/ Franchising Schneller Einstieg, niedrige Kosten, geringes Risiko Weniger Kontrolle, Lizenznehmer kann zum Wettbewerber werden, rechtliches und regulatorisches Umfeld (IP- und Vertragsrecht) muss wasserdicht sein
Strategische Partnerschaft Gemeinsame Kosten reduzieren Investitionsbedarf & Risiko, auch als lokale Einheit betrachtet Höhere Kosten als Export, Lizenzierung oder Franchising; Integrationsprobleme zwischen zwei Unternehmenskulturen
Übernahme Schneller Einstieg, meistbekannte, etablierte Betriebe Hohe Kosten, Integrationsprobleme können auftreten
Greenfield Investition Zugewinn lokaler Marktkenntnisse; maximale Kontrolle Hohe Kosten und hohes Risiko durch Unbekannte, langsamer Einstieg durch alleinige Umsetzung

 

Mit der fortschreitenden Entwicklung der Wirtschaft, vor allem hinsichtlich lokaler Marktregulierungen und einem erst kürzlich aktualisierten Gesetz über ausländische Direktinvestitionen, bietet das Land nach wie vor eine Vielzahl an Möglichkeiten. Vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen, die qualitativ hochwertige Produkten für die aufstrebende Mittelschicht herstellen, lässt sich für die Zukunft noch viel Potential in der Marktdurchdringung ausmachen. Im Vordergrund steht dabei mehr und mehr das Einkaufserlebnis, welches im Zusammenschluss mit der Entwicklung digitaler Formate herausragende Möglichkeiten eröffnet, um die aufstrebende Bevölkerungsschicht ohne Umwege auf den präferierten Formaten direkt anzusprechen. Firmen, die expandieren wollen, müssen neben der lokalen Geschäftskultur jedoch auch die geltenden Regularien und Verordnungen verstehen und anwenden können. Daher gilt es sich zunächst einmal über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren. Eventuell sind je nach Tätigkeitsfeld auch entsprechende Lizenzen notwendig. Ist man beispielsweise im Bereich Einzelhandel tätig, bieten sich zunächst auch kleinere Testläufe über spezielle Marketingaktionen im Ballungsraum großer Point-of-Sales Einzugsgebiete an. Dies hilft ein Gefühl über den Markt und die Käuferpräferenzen zu bekommen, bevor man mit größeren Investitionen eine überregionale Verkaufsstrategie ausrollt.

Wie schaffen es Unternehmer, Gründer und Investoren sich gut in Shanghai/der Greater Bay Area/bzw. eine Gegend, die Sie für wichtig halten zu positionieren und in welchen Branchen sehen Sie aktuell den größten Zustrom in der Shanghai/der Greater Bay Area/bzw. eine Gegend, die Sie für wichtig halten?

Bei der Positionierung hinsichtlich des Standortes sollten Investoren vor allem Ihre Wertschöpfungskette im Auge behalten. Kurze Wege bedeuten einen signifikanten Preisvorteil, beispielsweise bei R&D-Projekten. Die Montage eines Prototyps kann in der Greater Bay Area oft innerhalb von weniger als 2 Stunden erfolgen. Im Vergleich zu anderen globalen Produktionszentren bedeutet dies nicht selten einen Preisvorteil um Faktor zehn oder zwanzig, woran KI-betriebene Produktionslinien einen entscheidenden Einfluss haben. Des Weiteren können Unternehmen, die innerhalb von Freihandelszonen registriert sind, von einer vereinfachten Zollabfertigung profitieren. Bei der Auswahl des Standortes sollte daher ein besonderes Augenmerk auf das bestehende Netzwerk, zukünftige Absatzregionen sowie auf den Zugang zu industriespezifischen Talenten Wert gelegt werden. Beides lässt sich über die Wirtschaftsregion Shanghai beziehungsweise der Greater Bay Area hervorragend realisieren.

Als Bestandteil der Belt and Road Initiative ist der Entwicklungsplan zur Greater Bay Area (GBA) von zentraler nationaler Bedeutung. Der Initiative wird auch in den kommenden Jahren weiterhin viel Potential beigemessen. Was die Zukunft angeht, so werden sich Hongkong und Shanghai in der Rolles als Finanzzentren weiterentwickeln und gleichzeitig ihre Standortvorteile in Technologie und Innovation einbringen. Macau wird sich auf Tourismus und Freizeit konzentrieren, hingegen Guangzhou den Status des nationalen Hubs für Verkehr und Handel stärken möchte. Ein Großteil der ausländischen Ankünfte wird bereits über Guangzhou abgewickelt. Shenzhen hingegen wird seine Rolle als globales Innovationszentrum weiter festigen und ausbauen. Langfristig werden alle fünf Wirtschaftszentren dazu beitragen, den Markt für ausländische Direktinvestitionen weiter zu öffnen. Die Herausforderung für die Zukunft der deutschen Unternehmen besteht darin, sich im mittleren Preissegment, in dem die Nachfrage gerade in Schwellenländern höher ist, zu etablieren, ohne gleichzeitig die Premium-Identität der Marke zu verlieren. Durch Kostensteigerungen in Lohn und Unterhaltung wird  aber auch Südostasien weiter an Bedeutung gewinnen. Diese Entwicklung ist langfristig gesehen positiv für die Unternehmen, da durch die Diversifikation eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Märkten vermieden werden kann. Die nachfolgende Grafik der internationalen Expansionsmodelle kann dabei eine erste Orientierungsgrundlage für Investoren darstellen.

 

Sebastian Hoffmann
Senior Sales & Business Development Associate at Hawksford

Sebastian Hoffmann leitet den Hawksford German Desk in China. Das Unternehmen berät seit 2009 ­Unternehmer, KMU und multi­natio­nale Unternehmen bei ihren geschäftlichen Bestrebungen in der Volksrepublik China und verfügt über langjährige Branchenerfahrung u.a. in den ­Bereichen Technologie, Maschinenbau, Einzelhandel, Baugewerbe, chemisch-pharmazeutische Industrie, Elektrotechnik, Metallerzeugung sowie Kunststoff- und Papierindustrie.