Gestern hat die chinesische Zollverwaltung die aktuellen Handelszahlen veröffentlicht. So mancher dürfte sich die Augen gerieben haben. Mit einem Gesamtvolumen von knapp 1.479 Milliarden US-Dollar legte der Außenhandel im ersten Quartal 2022 im Jahresvergleich um 13,0 Prozent zu.
Die Exporte (rund 821 Milliarden US-Dollar) stiegen um 15,8 Prozent, die Importe (etwa 658 Milliarden US-Dollar) um 9,6 Prozent. Für März wird ein Gesamtvolumen von knapp 505 Milliarden US-Dollar im Außenhandel bilanziert, was im Vergleich zum Vorjahr 7,5 Prozent mehr sind. Die Ausfuhren stiegen um 14,7 Prozent und erreichten ein Volumen von gut 276 Milliarden US-Dollar, während die Einfuhren (knapp 229 Milliarden US-Dollar) um 0,1 Prozent zurückgingen. Wer angesichts der aktuellen Bilder aus Shanghai, der chinesischen Metropole, die den Ruf hat, niemals zu schlafen, daran zweifelt, sollte sich daran erinnern, das Herz der chinesischen Wirtschaft wurde erst Ende März ins Schlafkoma versetzt. Es zeichnet sich aber ein Trend ab, denn noch für die ersten beiden Monate des Jahres berichtete der Zoll bei den Exporten von einer Expansion um 16,3 Prozent. Bei den Importen betrug das Plus 15,5 Prozent.
Corona-Maßnahmen Gift für die Wirtschaft
Die drastischen Maßnahmen im „Kampf gegen Omicron“ erweisen sich vor allem für die Wirtschaft als Gift. Unternehmen produzieren nur noch eingeschränkt oder gar nicht. Lieferketten brechen zusammen. Selbst der zu Beginn der Pandemie überaus gelobte Online-Handel funktioniert nicht mehr so reibungslos wie es die Kunden gewohnt sind. Jedenfalls nicht überall im Land. Es ist ja nicht nur Shanghai, das „kämpft“. In Shandong müssen beispielsweise reinkommende Waren nicht nur nach allen Regeln der Kunst desinfiziert werden, sondern eine zusätzliche Quarantäne von zehn Tagen durchlaufen. Was das für Hersteller bedeutet, die auf Just-in-Time-Lieferungen angewiesen sind, kann sich jeder vorstellen. Der Aufschrei der Lobby-Vertretungen der ausländisch investierten Unternehmen in China ist nur zu verständlich. In Europa wird er vernommen. In China auch. Nur kann schnell der Eindruck entstehen, es trifft vor allem die ausländischen Firmen im Land. Nein. So ist es nicht. Jedes Unternehmen ist betroffen, klein oder groß, chinesisch oder ausländisch investiert.
Wehret den Anfängen
Noch vor dem Shanghai-Lockdown hatte die Asiatische Entwicklungsbank in ihrem „Outlook 2022“ für China ein Wirtschafswachstum von 5,0 Prozent vorhergesagt, in etwa das, was sich die Regierung für das laufende Jahr als Ziel gesetzt hat, um die Herausforderungen wohl wissend, die die jüngste Corona-Welle mit sich bringt. Eine Welle, die bei derzeit um die 30.000 neuen Fällen am Tag im Vergleich zu den deutschen Zahlen eher einem Wellchen gleicht. Das Motto lautet: Wehret den Anfängen. Entwicklungen wie in Europa oder auch in Japan sollen in China vermieden werden. Mit gutem Grund: Wenn, wie zu beobachten, die wirtschaftlich am stärksten entwickelte Stadt zurzeit in der Gesundheitsversorgung an Grenzen stößt, wie soll es dann in Regionen aussehen, die Shanghais Niveau längst noch nicht erreicht haben? Auch wenn immer öfter und lauter unzufriedenes Murren zu hören ist, für die Bevölkerung ist dies das Argument der Argumente, die Maßnahmen mitzutragen und für richtig zu halten.
Persönliche Begegnungen müssen wieder möglich sein
Eine Regierung, die für das Wohl von 1,4 Milliarden Verantwortung trägt, muss anders handeln, als es sich viele deutsche Hobby-Virologen vorstellen, die in Reaktion auf die Shanghaier Entwicklungen das Scheitern von Null-Covid postulieren. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass nach jetzt schon drei Jahren Pandemie persönliche Begegnungen schlicht und einfach wieder möglich sein müssen, um Geschäfte fortzusetzen, zu beleben oder neu aufzubauen. Vertrauen in den Geschäftsbeziehungen lässt sich nur entwickeln, wenn zwischen Geschäftspartnern der sprichwörtliche Funke überspringen kann. So großartig es auch ist, heutzutage über moderne Technik zu verfügen, die virtuelle Treffen zu jeder Tages- und Nachtzeit ermöglich, Ersatz für persönliche Treffen sind diese schnell ermüdenden Videokonferenzen auf Dauer nicht.
Die „Null“ weicht der „dynamischen Null“
Also wird auch China, das in absehbarer Zeit auf die „Null“ nicht verzichten wird (und kann), nach Auswegen suchen. Die „Null“ ist längst der „dynamischen Null“ gewichen, was heißt, nicht überall und bei jedem Fall nach Schema Null-Acht-Fuffzehn vorzugehen, sondern „dynamisch“ den konkreten Bedingungen entsprechend zu reagieren. Begrenzt. Auch wenn das gerade in Shanghai nicht danach aussieht. Aufhorchen und Hoffnung schöpfen lässt ein gerade angekündigter Modellversuch in acht Städten – Shanghai, Kanton, Chengdu, Dalian, Suzhou, Ningbo, Xiamen und Qingdao –, die Quarantänezeiten von 14+7 auf 10+7 zu reduzieren. Bei Einreisen aus dem Ausland. Und auch in Fällen, wenn bei Inlandreisen Quarantäne angesagt ist. „Vier Tage weniger. Nur.“ Die Kritiker sind schon auf dem Plan. Doch erstens ist jeder Tag weniger ein Gewinn, auch ein Kostengewinn. Und zweitens zeigt es, dass sich etwas zu bewegen beginnt. Kleine Schritte können schließlich auch zu größeren werden.
Peter Tichauer
Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.
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