Rot-Gelb-Grün und Merkels Vermächtnis oder: Was erwartet uns am Nikolaustag?

Der Blick auf den Kalender verrät: In genau zwei Wochen ist Nikolaus-Tag. In den Stiefeln der Bundesbürger soll dann, so der erklärte Wille, der rot-gelb-grüne Koalitionsvertrag liegen und im Bundestag die „Zukunftsregierung“ vereidigt werden. Mit welchem Programm die neue Regierung antreten wird, darüber kann bisher nur spekuliert werden. Aus den Verhandlungsräumen dringt kaum etwas. Die Koalitionäre halten sich an die vereinbarte Vertraulichkeitsklausel. Ob dann am Nikolaustag die Augen der Deutschen genauso leuchten, wie die der Kinder, wenn sie am Morgen verschlafen zu ihren mit Süßigkeiten gefüllten Stiefeln tapsen, das bleibt abzuwarten.

Interessant wird sein, welche Akzente die neue Regierung in der internationalen Politik setzen wird. Insbesondere auch aus Sicht Chinas, das in den vergangenen Jahren immerhin zum größten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen ist. Für viele deutsche Unternehmen ist China heute einer der wichtigsten Märkte, der es ihnen ermöglichte, durch so manche Krise der vergangenen Jahre relativ unbeschadet zu kommen.

Auf Augenhöhe zusammenarbeiten

Die scheidende Bundeskanzlerin hat jedenfalls vor fünf Tagen im Interview mit Reuters so etwas wie ihr China-Vermächtnis formuliert. Sie mahnte, von einer Entkopplung von China würde keiner profitieren. Mit China müsse auf Augenhöhe zusammengearbeitet werden, und das nicht nur, weil China als Wirtschaftspartner von Bedeutung ist, sondern weil drängende Fragen unserer Zeit ohne China heutzutage nicht mehr zu lösen sind. Das bedeute nicht, strittige Fragen auszuklammern. Ganz im Gegenteil.

Als Angela Merkel vor 16 Jahren ihr Amt antrat und kurz darauf nach China reiste, war die Nervosität in Peking groß. Möglicherweise nicht nur dort. Befürchtet wurde ein Bruch in den bilateralen Beziehungen, die von ihren Vorgängern geprägt waren. Befürchtet wurde eine klare Kante. Konfrontation statt freundschaftlichem Miteinander. Nun wird keiner sagen können, die Bundeskanzlerin habe mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten. Sie hat aber sehr schnell verstanden, dass sie ihre Anliegen nicht mit dem „Holzhammer“ durchsetzen kann, sondern im vertraulichen Dialog, bestimmt, aber nicht von oben herab belehrend und fordernd. Auf die Musik kommt es an, heißt es doch wohl. Mit ihren Partnern Wen Jiabao und Li Keqiang hat sie jedenfalls die richtigen Noten getroffen. Es muss eben nicht alles auf der großen Bühne ausgetragen werden. Manchmal reichen auch die leisen Töne aus, um etwas zu erreichen.

Akzente werden anders gesetzt

Dass der oder die Neue im Kanzleramt, Außen- und Wirtschaftsministerium das Vermächtnis der scheidenden Bundeskanzlerin zur Kenntnis genommen haben, davon sollte ausgegangen werden. Ob sie ihm folgen, steht auf einem anderen Blatt, war doch in anderer Angelegenheit, Corona, vor Wochen aus den Reihen der künftigen Regierungsparteien recht rüde zu hören (und später relativiert), die Noch-Kanzlerin solle sich nicht einmischen. Angela Merkels China-Erfahrungen sollten aber nicht so einfach vom Tisch gefegt werden. Das Motto „Neue Besen kehren besser“ ist nicht angebracht. Dass Akzente anders gesetzt werden, wird wohl so sein. Verkehrt ist das bestimmt nicht, wenn es nicht vom Willen getrieben ist, dem US-Kurs von Joe Biden blind zu folgen, der zwar dieser Tage in seinem Videogespräch mit dem chinesischen Präsidenten betonte, Kooperation sei besser als Konfrontation, und trotzdem dabeibleibt, China als die neue Gefahr zu betrachten.

„Augenhöhe“ dürfte das eigentliche Zauberwort sein. Miteinander sprechen, wenn es Probleme gibt, bestimmt, aber mit Respekt – nur das kann voranführen. Mit dem Land, das nicht nur, aber auch mit westlichen Investitionen (die sich für die Investoren durchaus ausgezahlt haben) in nur wenigen Jahren zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber aufgestiegen ist, muss im Interesse der globalen Entwicklung eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Das geschieht nicht durch Belehrungen, nicht ultimative Forderungen. Das wiederum heißt nicht, darauf zu verzichten, Themen anzusprechen, die einem unter den Nägeln brennen. Und zwar für beide Seiten. Vor allem ist es befremdlich, Wettbewerb als Bedrohung zu betrachten, haben wir doch gelernt, genau dieser Wettbewerb ist es, der das Geschäft ankurbelt, der zu Veränderung führt und Fortschritt sichert.

Spannend bleibt also, was Rot-Gelb-Grün uns in unsere Nikolaus-Stiefel stecken wird, auch und gerade hinsichtlich der Beziehungen zu China.

 

Peter Tichauer

Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.