„Es führt kein Weg am chinesischen Markt vorbei“

Gespräch mit Dr. Dirk Notheis Interview: Prof. Dr. Péter Horváth

Der ehemalige Investmentbanker Dr. Dirk Notheis ist heute als Mittelstandsfinanzierer unterwegs. Zu seiner Investmentfirma Rantum Capital gehört auch ein Netzwerk in China. Im Interview spricht er über die dortigen Marktdynamiken und die Kulturunterschiede zum Westen.

FuS: „Die Faszination für Hidden Champions ist in China stark“ – so hat sich Prof. Hermann Simon in unserer Zeitschrift (FuS 5/18) geäußert. Ist das auch Ihre Sicht, Herr Dr. Notheis?

Dr. Dirk Notheis: Deutschland, insbesondere die deutsche Ingenieurskunst genießt einen ganz besonderen Respekt vonseiten chinesischer Unternehmen sowie der chinesischen Elite. China ist sich bewusst, dass es trotz seiner besonderen Skalenfähigkeit noch auf vielen technischen Feldern erheblichen Nachholbedarf hat. Diesen versucht es im Ausland zu decken, entweder über Kooperationen oder Akquisitionen. Dabei richtet sich der Blick selbstverständlich auch auf deutsche Unternehmen. Insofern ist das, was Professor Simon sagt, richtig. Das Interesse seitens Chinas an Hidden Champions ist grundsätzlich groß, ganz besonders an solchen aus Deutschland.

FuS: Ihr Fonds Rantum Capital ist an der ökonomischen Schnittstelle zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen tätig. Können Sie uns Ihr Geschäftsmodell kurz erläutern?

Notheis: Rantum Capital wurde 2013 von Managern aus der Finanzwirtschaft, Unternehmern sowie ehemaligen DAXVorständen mit dem Ziel gegründet, mittelständischen Unternehmern in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Kapital und Netzwerken zur Seite zu stehen. Wir tun dies sowohl über unsere Kredit- als auch über Eigenkapitalfonds. Speziell mit unserem Private Equity-Fonds helfen wir, erfolgreiche Geschäftsmodelle hierzulande auf den chinesischen Wachstumsmarkt zu überführen. Zudem versuchen wir, deutsche Unternehmen, die bereits in China etabliert sind, mit unseren Netzwerken vor Ort tatkräftig zu unterstützen. Hierzu haben wir beispielsweise Partnerbüros in Shanghai und Hongkong, die von meinem Partner Bao Yi, dem früheren CEO von Morgan Stanley in China, geführt werden.

Zusammengefasst: Wir versuchen, die Wachstumsbrücke nach China für deutsche Unternehmen trittsicher zu bauen, getreu unserer Strategiedevise „von Unternehmern für Unternehmer“.

FuS: Namhafte Familienunternehmen gehören zu Ihren Kunden, auch chinesische Familienunternehmen kennen Sie gut. Können Sie für uns eine kurze Gegenüberstellung hinsichtlich der Unternehmensphilosophie sowie -kultur vornehmen?

Notheis: Bei allen Differenzen zwischen der chinesischen und der deutschen Kultur gibt es doch viele Gemeinsamkeiten in den Wesenszügen. Speziell der unternehmerische Geist beziehungsweise Antrieb ähnelt sich in beiden Kulturen – und ist in China ob der noch jungen wirtschaftlichen Öffnung sogar noch stärker ausgeprägt. Meiner Meinung nach hängt dieses Ähnlichkeitsmaß jedoch stark von der betrachteten Region in China ab. Der Unternehmergeist ist im Süden deutlich stärker als etwa im Norden zu spüren. Das Riesenreich zerfällt ja bekanntlich in viele Teilregionen mit sehr unterschiedlichen
Mentalitäten.

Ein Faszinosum ist für mich etwa die Region Zhèjiang mit ihrer Hauptstadt Hangzhou. Zhèjiang ist das Baden-Württemberg Chinas. Sie treffen dort Unternehmer, die nach unserem Sinne des Wortes („Ein Mann, ein Wort“) noch wahrlich handschlagsfähig sind. Verträge werden dort oftmals erst im Nachhinein schriftlich geschlossen. Im Vergleich zu unserer von Compliance-Recht geprägten westlichen Welt, ist dies kaum mehr vorstellbar, aber trotzdem Realität. Trennendes zwischen den beiden Kulturen sehe ich unter anderem in der vorherrschenden Führungsphilosophie. In China ist diese kulturhistorisch geprägt deutlich autoritärer – mit der Folge, dass etwa das Senioritätsprinzip und streng hierarchisches Denken noch immer vorherrschen. Aufgrund der erst seit rund 40 Jahren existierenden marktwirtschaftlichen Öffnung sind chinesische Mittelständler noch sehr stark auf die einzelnen Gründerfiguren ausgerichtet.

Ansätze partizipativer Führung greifen nur sehr langsam und mühsam Raum.

FuS: China hat einen neuen Fünfjahresplan formuliert. Welche Rolle spielen darin ausländische Investoren, speziell deutsche Familienunternehmen?

Notheis: Der Fünfjahresplan ist zunächst etwas Faszinierendes – denn er wird nicht nur geschrieben, sondern auch umgesetzt. Wenn man sich als Externer den Plan anschaut, kann man relativ gut voraussagen, wie die Chinesen in nächster Zeit agieren werden. So offenbart der Plan etwa auch die neuen Richtungen mit Blick auf die Vernetzung Chinas nach außen. Beispiele dafür sind die neue Seidenstraße oder das Programm technisches Fortkommen Chinas. Hierfür spielen Akquisitionen sowie Kooperationen mit westlichen, in der Regel Knowhow-und technologietragenden Unternehmen eine Rolle. Der Fünfjahresplan gibt chinesischen Unternehmen eine strategische Vorgabe, ohne jedoch konkrete operationale Ziele zu benennen. Der Staat unterstützt die Ziele durch Maßnahmen, zum Beispiel durch Finanzierungsangebote staatlicher Banken. Das Handeln obliegt dann den Wirtschaftssubjekten.

FuS: Gegenwärtig häufen sich die Nachrichten darüber, dass sich in China die wirtschaftliche Situation eintrübt. Wie bewerten Sie die Lage?

Notheis: Chinas Wirtschaft ist gegenwärtig tatsächlich in einem geschwächten Zustand. Das hat verschiedene Ursachen. Neben der Unsicherheit durch den Handelskrieg mit den USA liegt ein wesentlicher Grund im sogenannten Deleveraging. Vor mehr als einem Jahr hat die chinesische Regierung damit begonnen, stückweise die Hyperliquidität aus dem Markt herauszunehmen. Die Kreditvergaben wurden und werden seitdem selektiv eingeschränkt. Im Moment führt dies zu einer Art Soft Landing, was auch beabsichtigt und geplant ist. Wir befinden uns allerdings immer noch bei einem Wirtschaftswachstum von circa 5 %, was sicherlich ein hochrespektabler Wert ist, von dem wir im Vergleich nur träumen können.

FuS: Für den deutschen Mittelständler ist die chinesische Politik in vielen Aspekten nicht transparent. Was sind die Themen, mit denen man sich vertraut machen sollte, bevor man in China investiert?

Mein Tipp: Man sollte nicht blauäugig den Marktstart in China angehen – er ist jedoch auch keine Herkulesaufgabe.

Notheis: Zunächst muss man sich als deutscher Mittelständler bewusst sein, dass China ein sehr heterogener Markt mit sehr vielen unterschiedlichen Teilmärkten, Regionen und Kulturen ist. Dies schlägt sich natürlich auch in den Charakteren der handelnden Wirtschaftssubjekte nieder. Die Han-Chinesen im Norden sind beispielsweise ein völlig anderer Menschenschlag als etwa die Chinesen in den Küstenregionen des Südens. Des Weiteren muss man sich im Klaren darüber sein, dass China ein autokratischer Staat mit einem hohen Bürokratieaufwand ist. Hierauf muss man sich bei einem Engagement einstellen, sonst entstehen schnell Frustrationen. Den positiven Beweis bilden dagegen sehr viele deutsche Mittelständler, die bereits heute schon in China erfolgreich produzieren.

Mein Tipp: Man sollte nicht blauäugig den Marktstart in China angehen – er ist jedoch auch keine Herkulesaufgabe.

FuS: Eine ganz wichtige Frage ist auch die Rechtssicherheit in China – wie sind da Ihre Erfahrungen?

Notheis: Es gibt natürlich keine dem deutschen Rechtssystem entsprechende Rule of Law. Jedoch führen deutsche Unternehmen mit einer Vielzahl von Ländern Geschäftsbeziehungen, in denen ebenfalls kein vergleichbarer Rechtsrahmen vorliegt. Eine Alternative zum Domestic Chinese Law bietet das Hongkong-Recht. Es handelt sich hierbei um einen international gesicherten Standard, welcher eine Mischung aus chinesischem sowie englischem Recht darstellt und aus meiner Sicht absolut zuverlässig ist.

Blick auf die City von Shenzhen: Die Stadt gilt als das Silicon Valley Chinas.

FuS: Hongkong spielt eine wichtige Rolle bei Investitionsüberlegungen. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen China und Hongkong?

Notheis: Hongkong hat bis 2047 einen Sonderstatus, den es auch auslebt. Seine großen Vorteile sind eine auf englischem Recht basierende Rule of Law sowie eine weit längere Tradition der Vernetzung des Austauschs mit dem Rest der Welt. Hongkong ist das Tor zu China, insbesondere im Süden zur Hightech-Region Shenzhen, sozusagen dem Silicon Valley des 21. Jahrhunderts. Was sich hier abspielt, ist absolut beispiellos und wird die wirtschaftliche Bedeutung Hongkongs über die Zeit ablösen. So entsteht etwa inmitten von Shenzhen der neue Finanzdistrikt Qian Hai, der zum Financial Hub für China werden und in den nächsten Jahrzehnten eine wichtige Rolle in der Kapitalakquise spielen wird. Hongkong ist nach wie vor wichtig, aber Regionen wie Shanghai oder Shenzhen wachsen wesentlich intensiver.

FuS: Will man für seine ostasiatischen Aktivitäten eine Holding errichten, sollte dies also in Hongkong oder China geschehen?

Notheis: Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Es ist eine Frage der Besteuerung, die in China oft attraktiver als in Hongkong ist. Des Weiteren sind es Fragen der Infrastruktur und des Rechts. Dabei handelt es sich um keine monokausale Entscheidung, vielmehr geht es nach der Gewichtung der Faktoren. Jedoch zeigt die Empirie vielfach, dass der Weg über Hongkong führt.

FuS: Auf welchen Gebieten beziehungsweise in welchen Branchen sehen Sie gute Investitionschancen für deutsche Familienunternehmen in China?

Notheis: Der Maschinenbau, die Elektrotechnik sowie alle Branchen, in denen Deutschland technisch führend ist, bieten generell gute Investitionschancen, aufgrund positiver Wachstumsmöglichkeiten. Speziell industrielle Fertigungen und Dienstleistungsbereiche sind Know-how-Felder, die im chinesischen Markt noch nicht in dem gleichen Maße verbreitet und ausgeprägt sind. Darüber hinaus gibt es auch Chancen im Konsumgütersegment, da die Chinesen gerade ihre Konsumgewohnheiten ändern – speziell westliche Konsumgüter geraten in den Fokus, gerade deutsche Marken genießen eine hohe Reputation.

Für deutsche Familienunternehmen bedeutet dies in der Regel, dass ihr Nischendasein als Weltmarktführer ebenfalls Wettbewerbsvorteile in China generieren kann. Allerdings gibt es auch Branchen, in denen wir Deutschen nicht mehr wettbewerbsfähig sind, etwa bei künstlicher Intelligenz (KI) – dort sind die Chinesen weit vorne.

Im digitalen Bereich sind sie aufgrund ihrer Skalierungsfähigkeit und geringeren Datenschutzstandards generell deutlich in Führung. Beispiele hierfür sind Unternehmen wie Alibaba und Tencent. Diesen Giganten hat die deutsche Konkurrenz wenig entgegenzusetzen.

FuS: Findet man in China genügend geeignete chinesische Fachkräfte für sein Vorhaben?

Notheis: Die Die Ausbildungsqualität ist in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Jedoch muss man diese Aussage differenzieren: In den weiterentwickelten Küstenregionen ist der Ausbildungsstand besser als im westlichen Teil Chinas, dem sogenannten Hinterland. Über die letzten 25 Jahre waren jedoch auch dort erhebliche Fortschritte zu verzeichnen. China hat zwar kein mit dem deutschen vergleichbaren duales Ausbildungssystem, versucht aber, es an der einen oder anderen Stelle mutatis mutandis zu simulieren. Darüber hinaus befinden sich dort hervorragende Universitäten – besonders im ingenieurwissenschaftlichen Bereich – mit atemberaubenden Absolventenzahlen. Dies setzt sich ebenfalls im IT- sowie Softwarebereich fort.

FuS: Welche Besonderheiten weist das chinesische Management auf? Wie beurteilen Sie die Qualität?

Notheis: In China herrscht eine Kultur der Gesichtswahrung. Die Direktheit, die den Deutschen sowie seine Sprache auszeichnet, ist in China nicht angebracht. Diplomatie, Sensibilität, Respekt und Würde sowie die Gesichtswahrung des Gegenübers gelten als essenzielle Elemente im Umgang mit Chinesen. Diese Grundeinstellungen liegen auch der Unternehmenskultur sowie dem Managementverhalten zugrunde. Insgesamt handelt es sich um eine autokratisch organisierte Gesellschaft, welche auch die Führungskultur innerhalb des Unternehmens bestimmt. Zu beachten ist, dass die Parteiorganisationen auch innerhalb der Unternehmen präsent sind. Man findet daher in Unternehmen in der Regel auf allen Hierarchieebenen Abgesandte der Partei und eine zweite Person, die die eigentliche Arbeit verrichtet. Diese Besonderheiten müssen bei der Interaktion mit Chinesen im wirtschaftlichen Kontext unbedingt berücksichtigt werden, sie stören aber keineswegs, wenn man sich darauf einstellt.

FuS: Wie kann man die Weichen für eine erfolgreiche Expansion in China stellen?

Notheis: Wenn man selbst über keine Empirie verfügt, ist es wichtig, sich mit Menschen zu umgeben, die eben auf eine solche zurückgreifen können. In China sind lokale Erfahrungen sowie Netzwerke durch nichts zu ersetzen. Es ist eine Gesellschaft, die auf Netzwerken und Vertrauensbeziehungen basiert. Die richtigen Begleiter sind daher eine notwendige, jedoch noch keine hinreichende Bedingung für den unternehmerischen Erfolg.

Man benötigt für den Aufbau dieser Beziehungen neben einem langen Atem auch Geld. Darüber hinaus muss man China das nötige Verständnis, eine Sympathie sowie Respekt für die Kultur und Staatsform entgegenbringen. Wer dies alles mitbringt, hat beste Voraussetzungen, in China Erfolg zu haben.

FuS: Sehen Sie einen Unterschied zwischen dem Absatzmarkt und dem Investitionsstandort China?

Notheis: China ist durch seine Geografie der größte Absatzmarkt der Welt. Es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, diese Region zu erschließen. Zum einen kann China über einen Handelspartner mit Distributionsnetzwerken erschlossen werden. Die Lösung eignet sich, wenn man den Markteintritt über Import beziehungsweise Export nach China bewerkstelligen möchte.

Eine weitere Möglichkeit stellt der Aufbau einer eigenen Produktion in China dar. Die Vorzüge bestehen hierbei sowohl in komparativen Kostenvorteilen der lokalen Produktion als auch im Knüpfen von Netzwerken, welche die Geschäftsentwicklung grundsätzlich positiv unterstützen. Hierzu braucht man allerdings die richtigen Unterstützer, Joint Venture-Partner und ein erfahrenes Managementteam (Mischung aus lokalen Mitarbeitern und Expats), das gemeinsam vor Ort ein Standbein mit dem deutschen Unternehmen aufbaut.

Unsere Portfoliounternehmen beweisen, dass der Weg nach China erfolgreich beschritten werden kann.

FuS: Was ist Ihre Einschätzung: Ist ein Engagement in China für deutsche Familienunternehmen ein Must-have oder ein „Nice-to-have“?

Notheis: Ich glaube, man kann das 21. Jahrhundert nicht ohne China denken, weder ökonomisch noch politisch. Wenn wir den Anspruch haben, als erfolgreiche deutsche Familienunternehmen auch im 21. Jahrhundert unsere Weltmarktführerschaften aufrechtzuerhalten, dann führt kein Weg am chinesischen Markt vorbei. Es ist eine essenzielle Aufgabe.

Dr. Dirk Notheis (r.)

Dr. Dirk Notheis (r.) ist Gründer und Geschäftsführer des Mittelstandsfonds Rantum Capital, der sowohl Eigen- als auch Fremdkapital zur Verfügung stellt. Vor der Gründung von Rantum Capital war Herr Dr. Notheis Vorstandsvorsitzender der Morgan Stanley Bank AG sowie Country Head von Morgan Stanley für die deutschsprachigen Länder. Zuvor war er für die SGZ-Bank tätig. Nach dem Studium der BWL, Philosophie und politischen Wissenschaften an der Universität Mannheim wurde er an der Universität Stuttgart promoviert.