„Lokale Wertschöpfungsketten gewinnen in China an Bedeutung“

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Unternehmen und Investoren im Deutschland-China-Geschäft begleitet man bei der BankM seit vielen Jahren. So bekommen die Verantwortlichen interessante Erkenntnisse zu den Chancen und Herausforderungen für Investoren. Ziyun Wang und Axel Rose erläutern ihre Einblicke dazu für 2023.

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Wie ändert sich die Situation für deutsche Unternehmen, die 2023 in China investieren wollen?

Ziyun Wang hat in China und Deutschland mit dem Schwerpunkt Internatio­nal Economics BWL studiert. Nach Abschluss ihres Studiums sammelte sie Erfahrung in verschiedenen internatio­nalen Konzernen sowie öffentlichen Institutionen. Seit 2014 ist Frau Wang bei der BankM für den Bereich Business Development Asia zuständig.

Wang: Da nun langsam die Zero-COVID-Reisebeschränkungen aufgehoben werden, löst sich ein erhebliches Hindernis für den wirtschaftlichen Austausch ­zwischen Deutschland und China hoffentlich auf. Nach dem Parteitag am 16. Oktober 2022 ist aber auch klar geworden, dass 2023 viele der wirtschaftlichen Strukturen auf staatliche Unternehmen ausgerichtet werden. Davon sind Hightechsektoren – z.B. die Halbleiterindustrie oder der medizinische Bereich – am wenigsten betroffen. China will bis 2045 den CO2-Wendepunkt ­erreichen und bis 2060 CO2-neutral sein, hier ergeben sich für deutsche Unternehmen interessante Aktions- und Investitionsfelder. Und Chancen ergeben sich übrigens auch aus der Altersstruktur heraus: Bis 2030 leben in China 350 Millionen Menschen im ­hohen Alter – das entspricht etwa der ­gesamten Bevölkerungszahl der USA.

Welche außer den genannten Branchen sind aus Ihrer Sicht für Investoren in China noch interessant?

Wang: Die Staatsregierung legt auf alle Branchen wert, die der Sicherheit Chinas dienen. Dazu kann man auch den Bereich Luftfahrt und Aerospace zählen, zumal er einen massiven Beitrag zum Bruttosozialprodukt erzeugen wird. Die großen Auftraggeber sind hier staatliche Unternehmen. Für normale deutsche Unternehmen wird es dabei zwar nicht leicht, als Zulieferer zugelassen zu werden, aber wer innerhalb eines Vergabeprozesses einen Lieferauftrag gewinnt, erhält langfristige Auftragssicherheit. Gerade läuft beispielsweise die Zertifizierung für das Passagierflugzeug C929. Der Zertifizierungsprozess kann dabei jedoch mehrere Jahre dauern.

China versucht, über öffnende Regularien mehr Anlagekapital ins Land zu bekommen und damit die Wirtschaft zu stimulieren. Auf welche Aspekte sollten Investoren und Anleger achten, wenn sie sich das zunutze machen wollen?

Wang: Man sollte genau schauen, wo man die besten Bedingungen findet. Nehmen wir eine Ansiedlung in der Freihandelszone in der Provinz Hainan. Es gilt wegen der Nähe zu Meer, Strand und Sonne als chinesisches ­Hawaii. Die lokale Regierung hat für die Ansiedlung attraktive Konditionen erstellt. Der Unternehmenssteuersatz beträgt 15%, während er sonst in China bei 25% liegt. Auch als Angestellter zahlt man in Hainan nur einen Steuersatz von 15%, wohingegen es sonst in China eine progressive Einkommensteuer gibt – ähnlich den Sätzen in Deutschland. Dazu ist der Import ­bestimmter Materialien und Produkte zollfrei, wenn das Endprodukt für den chinesischen Markt bestimmt ist und mehr als 30% der Wertschöpfung in Hainan stattfindet. Aufgrund des guten Klimas ist Hainan besonders interessant für Hersteller von Saatgut sowie Agrartechnologie. So sind Bayer und KWS schon vor Ort aktiv. Infolge des Ukrainekriegs ist der Bedarf in China an Reis und Weizen, aber auch hochwertigem Soja und Mais zuletzt noch einmal gestiegen.

Axel Rose ist Bankkaufmann und V­olkswirt und seit 2013 bei der BankM AG im Projektgeschäft tätig. Als Spezialist für Kapitalmarktkommunikation hat er zahlreiche Transaktionen mit Chinabezug begleitet. BankM unterstützt mittelständische Unternehmen mit einem breiten Dienstleistungsportfolio u.a. bei der Suche nach strategischen Partnern im asiatischen Raum.

Kommen wir zu einem anderen Investorenthema: Die Pekinger Börse wurde am 15. November 21 eröffnet und soll auch der Entwicklung innovations­orientierter KMU dienen. Was ist Ihr erstes Fazit für die Pekinger Börse?

Rose: Für ein Fazit ist es noch zu früh, aber die in etwa 100 Börsengänge, die dort seither stattgefunden haben, klingen beeindruckender, als sie für ein Land wie China tatsächlich sind. Wie schwierig es ist, ein Mittelstandssegment an der Börse zu etablieren, sieht man ja in Frankfurt mit dem Entry-Standard-Nachfolger Scale. Unser Eindruck ist deshalb, dass sich europäische und internationale Anleger die Pekinger Börse bislang eher von außen anschauen und die weitere Entwicklung abwarten. Greifen die Maßnahmen wie der neue BSE 50 Index, die zur Steigerung von Handels- und Finanzierungsvolumen jüngst ergriffen wurden? 2023 wird es uns zeigen.

Aber neben einem abwartenden Going China gibt es bei Unternehmen auch eine Tendenz, sich von China als Beschaffungs- und Absatzmarkt unabhängig zu machen. Was empfehlen Sie Unternehmen und Investoren bezogen auf diesen Punkt?

Rose: Ja, das ist ein Thema. Wir erleben Kunden auch als eher zurückhaltend und mit großer Vorsicht agierend. ­Wegen der US-Bestimmungen müssen ja Firmen, die z.B. Apple und HUAWEI beliefern, zwei voneinander völlig abgetrennte Produktionswege aufbauen. Dazu versuchen Unternehmen Abhängigkeiten von China bei Beschaffung und Lieferketten zu reduzieren und stärker auf lokale Märkte abzustellen. Dies empfehlen wir auch für China: kein Rückzug, aber eine stärker innerregionale Ausrichtung.

Zum Schluss: „Wir sind wie eine Insel im Haifischbecken“ lautet eine Aussage von Ihnen. Inwiefern trifft das auch auf Ihre China-Deutschland-Aktivitäten zu?

Rose: Als BankM kämpfen wir nicht wie Private-Equity-Häuser um einen Deal, sondern sind auf strategisch relevante Transaktionen und Themen ausgerichtet. Das heißt, wir liefern auch bei deutsch-chinesischen Transaktionen strategische Finanzierungen, helfen bei der Partnersuche, klären Marktfragen, öffnen Türen in unserem Netzwerk bei der Chinaansiedelung zu den regionalen Regierungen und anderen Investoren. Dies tun wir unabhängig von einzelnen Marktströmungen, weil wir von der strategischen Bedeutung überzeugt sind. Bei allen globalen Abschottungstendenzen kommen deutsche Unternehmen auch in ­Zukunft nicht an China vorbei. Insofern sind wir hier weniger eine Insel als vielmehr ein kleiner Leuchtturm, der auch in schweren Wellen nicht einfach verschwindet, sondern verlässlich Unterstützung bietet.

www.bankm.de

Georg von Stein

Dipl.-Kfm. Georg von Stein arbeitet seit 28 Jahren als Journalist. In dieser Zeit hat er Beiträge für die unterschiedlichsten Medien (Wirtschaft, IT, Lifestyle) publiziert und viele Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft und Politik interviewt - Bundespräsidenten, Unternehmer, CEOs. Seit 2004 arbeitet er für den Goingpublic Verlag und als Nachfolger für Stefan Gätzner wirkt er seit 2019 als Chefredakteur der Investment Plattform China Deutschland.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch