„Der M&A-Markt hat bei chinesischen Investoren Nachholbedarf“

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2021 waren die chinesischen Investitionen in Europa im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht angestiegen – ein positiver Trend, der sich für 2023 fortsetzen könnte. Gleichzeitig überlegen sich chinesische Unternehmen aber in der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Gemengelage genauer und vorsichtiger, ob sie bei deutschen Targets einsteigen. Einschätzungen dazu aus der Geschäftspraxis mit chinesischen Investoren gibt Baoshan Bao, Partner im M&A-­Beratungsunternehmen Livingstone.

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Wie entwickeln sich die chinesisch europäischen Transaktionen 2023? Welche Chancen, Risiken und Herausforderungen erwarten Käufer aus China?

Baoshan Bao ist als Partner verantwortlich für das Chinageschäft der internationalen M&A-Beratungsorganisation Livingstone. Nach seinem Studium der Politikwissenschaften in China studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Durch die Mitarbeit an vielen deutsch-chinesischen M&A Projekten sammelte zahlreiche einschlägige berufliche Erfahrungen.

Bao: Für die Antwort greife ich die vier aus meiner Sicht maßgeblichen Punkte auf. Erstens steht die wirtschaftliche Entwicklung Chinas wegen der langen Zero-COVID-Periode aktuell unter Druck. Dazu kommt zweitens der noch immer währende Handelskrieg mit den USA. Drittens schärft Europa bzw. die europäischen Länder, in denen sich die potenziellen M&A-Targets befinden, ihre staatlichen Kontrollen für Übernahme durch Nicht-EU-Staaten. Und schließlich viertens: Die europäischen bzw. US-amerikanischen Käufer, sowohl Finanzinvestoren als auch strategische Käufer, sind auf dem hiesigen Mid-Cap-M&A-Markt immer noch sehr aktiv. Ich würde sogar sagen, sie sind aktiver als in den Jahren zuvor, und aus Sicht der Targets agieren sie oft immer noch besser als die chinesischen Unternehmen bezogen auf den Punkt, wie die Targets sich den Ablauf der Transaktion wünschen. Obwohl es gleichzeitig viel Ungewissheit und Schwierigkeiten auf dem Markt gibt, wird das Kaufinteresse aus China für deutsche und europäische Unternehmen weiterhin wie in letzten Jahren bestehen bleiben. Die Motivation für ihr Kaufinteresse geht nach wie vor auf folgende Faktoren aus: ein Upgrade bei der Technik zu erreichen, Marktzugang sowie Wachstumspotenzial zu schaffen und schließlich bei den börsennotierten Gesellschaften Produktportfolios zu erweitern. In einigen Bereichen werden chinesische Firmen Marktkonsolidierungen, die durch die M&A-Aktivitäten getrieben werden, sogar vorantreiben. Gleichzeitig werden chinesische Investoren wegen der geografischen Konflikte bzw. dem Ukrainekrieg, der Energiekrise, der Inflation vorsichtiger bei Transaktionen auf den europäischen Märkten. Für Unternehmen auf dem europäischen Markt wird es deswegen schwieriger, chinesische Unternehmen für Beteiligungen an Bord zu bekommen. Die europäischen Firmen hingegen werden in Bereichen, in denen sie nicht konkurrenzfähig produzieren können, Aktivitäten abgeben, um sich mit den freigewordenen Ressourcen sich auf neue Technologien und Märkte konzentrieren zu können. Und gerade daraus ergeben sich große Chancen für chinesische Erwerber. Die Frage bleibt nur, wie gut und vor allem welche der chinesischen Firmen dafür gut vorbereitet sind. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt, dass gut vorbereitete und professionell aufgestellte Käufer aus China nach wie vor guten Chancen in der Hand haben, ihre strategischen Pläne durch M&A in Europa umsetzen zu können.

Livingstone ist seit 2011 mit einem China Desk am Markt. Wie lief es für Sie seither?

Bao: Nach einer Aufbauphase konnte Livingstone seit Ende 2014 jährlich chinesisch deutsche Transaktionen auf dem M&A-Markt vermelden. Chinesische Käufer schätzen dabei unser vernetztes Experten-Know-how und den großen Überblick über die möglichen strategischen und auch nicht strategischen Targets in den verschiedensten Märkten. Dank unseres großen Netzwerks in China kennen wir dort auch die Käuferseite und können für die chinesischen börsennotierten Gesellschaften einschätzen, wie gut sie für einen Zukauf in Übersee vorbereitet sind und wie realistisch ihre M&A-Strategie hier umsetzbar ist. Wir wissen auch, wo sie technologisch stehen, in welchen Feldern sie Bedarfe haben, und können für deutsche Unternehmen, die nach einem Käufer suchen, mit potenziellen Erwerbern in China sprechen. Wir wissen auch, wie wir einen gut strukturierten Verkauf organisieren, sodass es für die chinesische Käuferseite passt.

Was ist wichtig, wenn man eine Transaktion mit einem chinesischen Käufer durchführt?

Bao: Wir haben mit unserem integrierten China Team viele Transaktionen im Mid-Cap-M&A-Markt durchgeführt, dazu zählt z.B. ein Zukaufsprojekt der TZTEK aus Suzhou, eines Hightechunternehmens, das sich auf Bildverarbeitung und industrielle Digitalisierung spezialisiert hat. Wir haben es beim Erwerb der MueTec Automatisierte Mikroskopie und Messtechnik GmbH beraten. Wichtig sind bei derartigen Transaktionen das Wissen um die Regularien und die Kontakte zu den wichtigen Stellen. Wir haben die Übernahme dabei in zwei Stufen vollzogen. Nach Erhalt der Genehmigung durch die chinesische Regierung, also die Overseas Direct Investment (ODI) Control, hat TZTEK Anfang September 2020 in der ersten Stufe rund 24,9% der Anteile an MueTec erworben. Die restlichen 75,1% der Anteile wurden in einem zweiten Schritt an TZTEK übertragen. Wichtig war dabei unser Verständnis für die Bedürfnisse von TZTEK. Das Unternehmen hatte ja erst kurz zuvor seinen Börsengang am STAR Market der Shanghai Stock Exchange vollzogen. Um seine Wachstumsgeschichte weiterschreiben zu können, war es dann auf der Suche nach einem strategisch passenden Target. Und wie wir alle wissen: Jeder Deal ist anders. Ebenso wichtig sind aber – wie auch bei diesem Deal – die Transaktionssicherheit und die faire Unternehmensbewertung, sowohl für den Käufer als auch für den Verkäufer.

Wie ist Ihre Philosophie als M&A-­Beratungshaus für solche Transak­tionen mit Chinabezug?

Bao: Bei Livingstone agieren wir als Dealmaker auch für die deutschen Technologieunternehmen, die international in China, Asien, Europa und den USA aufgestellt sind. Wir beraten sowohl die Verkäufer- als auch die Käuferseite. Die meisten chinesisch-deutschen Transaktionen in den letzten Jahren waren dabei strategische Zukäufe chinesischer Unternehmen. Um hier gut begleiten zu können, muss man die beiden Märkte und die Synergien in der Transaktion kennen und verstehen. Darüber hinaus muss man sich auch mit den passenden Käufern bzw. richtigen Targets beschäftigen. Dabei hilft uns unsere intensive Branchenkenntnis sehr. 2023 werden sich meiner Auffassung nach bei vielen chinesischen Branchen und Unternehmen große Chancen für Transaktionen bieten.

Wie bewerten Sie das Jahr 2022 in Bezug auf die grenzüberschreitenden Transaktionen von chinesischen Investoren? Wie sehen Sie die M&A-Auslandsaktivitäten der chinesischen Unternehmen?

Bao: Wenn man die bisher veröffentlichten statistischen Zahlen zu den Übersee-M&A-Aktivitäten der chinesischen Unternehmen in den ersten drei Quartalen 2022 nimmt, zeigt sich, dass das Gesamtvolumen der Überseeinvestitionen von chinesischen Unternehmen im Vergleich 2021 noch ein Stück zurückgegangen ist. Es gibt viele Gründe dafür, aber die Coronapandemie und damit verbundenen wirtschaftliche Unsicherheit und fehlende Umsetzungsmöglichkeiten der Transaktionen sind die wichtigen Störfaktoren gewesen. Ihr Einfluss auf dem Markt wird bis Mitte 2023 andauern. Im M&A-Markt besteht also bezogen auf chinesische Investoren ein großer Nachholbedarf. Darüber hinaus muss man die Angebotsseite analysieren; welche Branchen und Targets sind interessant. Hier sind einige Sektoren besonders attraktiv für chinesische Inves­toren, so z.B. TMT, Life Science und der Medizinbereich, Hochtechnologieunternehmen, der Energiesektor bzw. erneuerbare Energien inkl. der Technologien in dem Bereich.

Vielen Dank für das Interview.

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Georg von Stein

Dipl.-Kfm. Georg von Stein arbeitet seit 28 Jahren als Journalist. In dieser Zeit hat er Beiträge für die unterschiedlichsten Medien (Wirtschaft, IT, Lifestyle) publiziert und viele Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft und Politik interviewt - Bundespräsidenten, Unternehmer, CEOs. Seit 2004 arbeitet er für den Goingpublic Verlag und als Nachfolger für Stefan Gätzner wirkt er seit 2019 als Chefredakteur der Investment Plattform China Deutschland.