Schrauben-Dreher

Blick aus Qindao 4

Deutschland China CAI

Wenige Wochen vor den US-amerikanischen Präsidentenwahlen telefonierte ich recht lang mit Hans-Peter Friedrich. Der Bundestagsvizepräsident ist Initiator des China-Brücke e.V., 2019 gegründet, um im deutsch-chinesischen Dialog Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen zu finden. Hans-Peter Friedrich sagte sinngemäß, allen Hoffnungen quer durch das deutsche und europäische Parteienspektrum zum Trotz werde es unter einem neuen Präsidenten bei „America first“ bleiben. Wie recht er hatte. Joe Biden setzt die Politik seines Vorgängers fort, in wohlfeilere Worte freilich verpackt. Kein Trumpsches Poltern, sondern Bidensches Umgarnen. Gleichwohl, die Schrauben werden weiter angezogen.

Ein mehr als 200-Milliarden-US-Dollar-Paket ließ er dieser Tage seine Regierung verabschieden, um die heimische Hochtechnologie so auf Vordermann zu bringen, dass sie das Prädikat „Hightech“ noch mehr verdient. Schon Monate vorher waren Milliarden im Gespräch, um Unternehmen zu unterstützen, ihre Produktion aus China zurück in die Staaten zu verlagern. Der Geldsegen kann sicherlich so oder so betrachtet werden. Mit Programmen dieser Art nehmen sich Länder, die, wie sie behaupten, „nach internationalen wirtschaftlichen Regeln“ handeln, ihre eigenen Argumente selbst aus der Hand. Wird nicht chinesischen Unternehmen immer wieder unfairer Wettbewerb vorgeworfen, weil sie staatlich subventioniert sind und ihre Auslandsgeschäfte durch Kredite der Regierung gefördert werden? Mit verzerrtem Wettbewerb zu argumentieren, wird jetzt immer fragwürdiger.

Kaum war das Paket geschnürt, hat sich der amerikanische Präsident nach Europa aufgemacht. Allianzen gegen den großen Wettbewerber in Asien sollen geschmiedet werden. Aha, stimmt es doch nicht, dass auch Joe Biden allein die als gottgegeben betrachtete Führungsrolle der Amerikaner im Sinn hat? Mitnichten. Denn er hat eine sehr klare Botschaft: Die USA dürften es nicht dulden, dass andere Länder in der Welt mit ihnen auf Augenhöhe „spielen“ oder gar im technologischen Wettbewerb an ihnen vorbeiziehen. Dazu will er jetzt die Europäer mit vor den Karren spannen, egal ob es ihnen dienlich ist oder nicht. Anders als sein Vorgänger hat Joe Biden die Lektion gelernt: Gemeinsam sind wir stärker. Angefügt werden sollte: Zum Wohle einer einzigen Supermacht. Interessen Europas sind ihm, wie es aussieht, ziemlich egal.

Grundsätzlich ist nichts Verwerfliches daran, wenn ein Land eine Technologie- und Industriepolitik verfolgt, die Unternehmen unterstützt, technologischen Fortschritt zu gestalten. Was aber auffällt, ist das Motto: Wir müssen die Chinesen in die Schranken weisen. So ähnlich war es auch mit der industriepolitischen Initiative, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier vor drei Jahren vorgelegt hatte und die in weiten Zügen an das in den westlichen Ländern kritisierte Programm „Made in China 2025“ erinnerte. (Was ist aus ihr eigentlich geworden?)

Die Chinesen hätten bei „Made in China 2025“ nicht formulieren sollen, in wichtigen Technologiebereichen „weltweit führend“ zu werden, lautet ein oft vorgetragener Vorwurf. Was daran verwerflich ist, die Spitzenposition anzustreben, soll mir mal jemand erklären. Jeder Sportler trainiert für und geht in einen Wettbewerb, um am Ende ganz oben auf dem Siegerpodest zu stehen. Keiner tritt an, um zweiter, dritter oder vierter zu werden. Aber einem Land, das in vier Jahrzehnten mehrere technologische Sprünge gemacht hat und nicht gewillt ist, weiter nur die billige Werkbank für die wohlhabenden Länder zu sein, steht der Anspruch offenbar nicht zu, hier und da Spitzenleistungen zu erreichen. Der Unterschied zu Bidens Investitionsinitiative und zur Altmeiers Industriepolitik müsste jedenfalls auch einem Blinden auffallen. China will nach den Sternen greifen, Biden, Altmeier & Co. wollen China daran hindern. Und das sagen sie. Direkt. Offen. Und ohne jegliche Höflichkeiten, die das Ziel ein wenig im wabernden Nebel verschwimmen lässt.

Zu fürchten ist, dass sich die Europäer tatsächlich vor den amerikanischen Karren sperren lassen, um den transatlantischen Himmel wieder scheinen zu lassen. Das im Mai vorgelegte Positionspapier des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA) liest sich wie eine Gebrauchsanweisung für deutsche Wirtschaftspolitiker, die nach der Bundestagswahl möglicherweise die deutschen Geschicke bestimmen werden und China lieber früher als später in die Schranken weisen wollen. So neu ist die Forderung des APA freilich nicht, neben China andere Wachstumsmärkte in der Asien-Pazifik-Region nicht aus dem Blick zu verlieren und neue Partnerschaften aufzubauen. Dagegen kann ebenso wenig eingewendet werden, wie gegen die Forderung, die deutsche Innovationskraft zu stärken. Bei Lichte betrachtet bleibt allerdings ein schaler Beigeschmack. Denn im Grunde ist es ein Appell gegen den Ausbau des Chinageschäfts, wenn sich dort nicht wie von China zugesagt und Europa eingefordert die Rahmenbedingungen ändern. Daran ändert auch die Feststellung nichts, China bleibe für deutsche Unternehmen allein aufgrund des Potenzials im Binnenmarkt ein wichtiger Wirtschafts- und Aktionsstandort.

Wir sollten uns nicht täuschen lassen: Weder Biden noch die Parlamentarier und Politiker in Europa werden es schaffen, Chinas technologische Fahrt in die Zukunft aufzuhalten – der Zug ist längst abgefahren. Als Hochgeschwindigkeitszug. Je höher der Druck von außen, desto ambitionierter die Ziele, die China verfolgt. Da wäre es doch weitaus klüger, sich gegenseitig anzustacheln und gemeinsam nach vorn zu streben. Argumente, dies nicht zu tun, werden, wie beschrieben, immer dünner.

Peter Tichauer

Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.

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