China – Wie verändert Corona das Reich der Mitte?

Corona führt das Land in die schwerste Wirtschaftskrise seit der Kulturrevolution. Entsprechend muss Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping demonstrieren, dass er gleichwohl weiter bzw. zumindest wieder fest im Sattel sitzt. Deshalb ist es für die Regierung extrem wichtig, dass zum einen die Unternehmen wieder produzieren und möglichst zeitnah vollumfänglich das Vorkrisenniveau erreichen; zum anderen gilt es die Schulen wieder zu öffnen.

China – Wie verändert Corona das Reich der Mitte
Quelle: Adobe Stock; © Thaut Images

China ist inzwischen nahezu frei von Corona. Laut offiziellen Angaben wurden fast alle neuen Infektionen von außen importiert und sind unter Kontrolle. Dabei hatte es noch Anfang Februar den Anschein gehabt, als ob der Kommunistischen Partei die Sache entgleiten könnte. Massenhaft wurden im Internet Beschuldigungen laut, wonach Chinas Führung die Epidemie zunächst vertuscht und warnende Stimmen zum Schweigen gebracht hatte. Wäre nicht ein Großteil des Landes im Lockdown gewesen, hätte man sich das Überschwappen der virtuellen Proteste auf Chinas Straßen beinahe vorstellen können.

Chinas nationale Einheit wurde durch Corona gestärkt

Mindestens so beachtlich wie Chinas Erfolg im Kampf gegen das Virus ist daher die 180-Grad-Wende, die die öffentliche Meinung in der Volkrsrepublik in nur knapp drei Monaten vollzogen hat. Innerhalb dieser kurzen Zeit nämlich ist es der chinesischen Regierung gelungen, nahezu das gesamte Land hinter sich und ihrer Botschaft eines siegreich aus der Pandemie hervorgegangenen und dem Rest der Welt überlegenen Chinas zu vereinen.

Die Propagandaschlacht der vergangenen Wochen und Monate, in der es immer wieder auch um den Ursprung des Virus ging, hat Präsident Jinping Xi damit gewonnen. Die Unzufriedenheit und Frustration, die mit Blick auf das anfängliche Management der Krise und die medizinische Versorgung noch im Februar in weiten Teilen des Landes herrschte, scheint verflogen und ist einem neuen Optimismus gewichen. Es überwiegt die Zuversicht, dass das autoritäre, chinesische System sehr viel besser mit einer solchen Situation umgehen kann als die liberalen, westlichen Gesellschaften. Diese versinken aus Sicht vieler Chinesen noch immer im Chaos.

Dabei hilft es zweifellos, dass das Individuum und seine persönlichen Belange in der chinesischen Kultur einen vergleichsweise geringen Stellenwert haben. Was zählt sind die Interessen der Nation. Schon vor Corona hatte sich die Bevölkerung in China an einen Grad der Überwachung, Nutzung und Verknüpfung persönlicher Daten gewöhnt, der in weiten Teilen der westlichen Welt noch immer unvorstellbar ist. Entsprechend leicht und schnell lässt sich in der aktuellen Situation auf die bestehenden Systeme zur sozialen Kontrolle aufbauen. Das können etwa App-gesteuerten Gesundheitscodes sein. Diese fungieren inzwischen als Eintrittskarte für den Nahverkehr, Restaurants, Supermärkte oder Büroräume und sind de facto Pflicht für chinesische Staatsbürger.

Internationale Fronten verhärtet

Während China im Inneren wegen Corona näher zusammenrückt, haben sich die internationalen Fronten im Zuge der Pandemie weiter verhärtet. Insbesondere das Verhältnis zwischen China und den Vereinigten Staaten scheint mehr zerrüttet denn je. Dabei hätte das Virus eine willkommene Gelegenheit sein sollen, die existierenden Handelsstreitigkeiten temporär beiseite zu legen. Der Abbau von Handelshemmnissen hätte der Weltwirtschaft zumindest etwas Luft zum Atmen geben können.

Anstatt aufeinander zuzugehen, beschleunigt sich die Demontage globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten. Gleichzeitig stricken die USA im Eilverfahren an alten und neuen Allianzen. Ziel ist es, China zunehmend zu isolieren und in die Enge zu treiben. Die jüngste Ankündigung aus Peking zum geplanten Sicherheitsgesetz für Hong Kong ist ein neuer, diplomatischer Tiefpunkt in der Beziehung der beiden Großmächte.

Auf dem Verwaltungsweg wird nun Hongkong auf Linie gebracht. Es ist die logische Weiterführung des kühlen Pragmatismus von Chinas Staats- und Parteichef Jinping Xi: Je schneller eine Tagesordnung nach seiner Linie wiederhergestellt ist, desto bessere Ergebnisse werden in der Zukunft erzielt. Er nutzt dabei die Gunst der Stunde und konzentriert sich auf sich selbst. Parallel ist die Welt noch damit beschäftigt, aus der Umarmung der Covid-19-Krise zu kommen. Die Masse der Chinesen steht hinter Xi, hat er doch den “Krieg des Volkes gegen Corona“ erfolgreich angeführt.

Die Vereinigten Staaten sollten aufhören, China und die USA “an den Rand eines neuen Kalten Krieges“ zu bringen. So sagte es jüngst der chinesische Außenminister Yi Wang. “China hat nicht die Absicht, die Vereinigten Staaten zu verändern, noch weniger zu ersetzen“, erklärte er vor einer ausgewählten Gruppe von Journalisten. “Es ist Zeit für die Vereinigten Staaten, ihr Wunschdenken aufzugeben, China zu verändern und 1,4 Milliarden Menschen auf ihrem historischen Weg zur Modernisierung zu stoppen.“

Chinas Wirtschaft auf dem Weg zu alter Stärke

Die Demonstration von Stärke nach innen und außen ist für Peking in der aktuellen Situation ein wichtiger Faktor. Oberstes Ziel bleibt aber die Stabilisierung der chinesischen Volkswirtschaft, denn die Legitimität der kommunistischen Führung basiert nach wie vor auf dem Wachstumsversprechen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Und dieses gerät erstmals nach vier Dekaden Öffnung, Reform und internationaler Vernetzung ins Wanken.

Im ersten Quartal fiel die chinesische Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr um 6,8%. Die offizielle Arbeitslosenquote stieg bereits im Februar auf 6,2% und liegt damit auf dem höchsten Stand seit 2002. Zusätzlich werden auch in diesem Jahr wieder rund 9 Millionen Studenten Chinas Hochschulen verlassen und nach Chancen auf dem Arbeitsmarkt suchen.
Dabei war es eigentlich das Ziel zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas im kommenden Jahr, die Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 2010 zu verdoppeln. Dazu wäre jedoch ein Wachstum von sechs Prozent nötig. Das erscheint gegenwärtig äußerst unwahrscheinlich. Die Parteiführung wird jedoch alles versuchen, um dieses Ziel doch noch weitgehend zu erreichen.

Glücklicherweise gibt es auch bereits deutliche positive Signale einer wirtschaftlichen Belebung. So wuchs Chinas Wirtschaft im zweiten Quartal schon wieder um 3,2% im Jahresvergleich. Auch hat sich der chinesische Einkaufsmanagerindex wieder oberhalb von 50 Punkten und somit im Expansionsbereich stabilisiert. Im Februar notierte er noch bei katastrophalen 35,7 Punkten. Weitere wichtige Aktivitätsindikatoren wie der tägliche Kohleverbrauch und das Stauaufkommen auf Chinas Straßen liegen inzwischen wieder bei rund 90% ihres Vorjahresniveaus.

Um die chinesische Wirtschaft zu unterstützen, hat auch China eine Reihe geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen auf den Weg gebracht. Im Vergleich zu Europa und den USA fällt der bisherige Umfang dieser Interventionen aber bescheiden aus. In Sachen Staatsdefizit und öffentlicher Verschuldung hat China jedenfalls noch immensen Spielraum. Für den Rest des Jahres und darüber hinaus ist man vergleichsweise gut gerüstet.

China baut seine Machtposition trotz Corona weiter aus

China und insbesondere auch seine Regierung wird gestärkt aus der von Corona verursachten Krise herauskommen und auch international seine Machtposition weiter ausbauen sowie eine stärkere Einbindung in die Weltgemeinschaft einfordern.

Hierbei treffen visionäre Pläne Chinas auf einen weitgehend planlosen Westen. Das Coronavirus wird China nicht von seinem Ziel abbringen, bis zum Jahre 2025 zu einem Innovationsführer in allen wichtigen Schlüsseltechnologien aufzusteigen. Dazu zählt die Volksrepublik Energieerzeugung, E-Mobilität, Flugzeug-, Eisenbahn- und Schiffbau sowie Robotertechnik, Mobilfunk-Technologie und Medizintechnik. Die Ausgaben für Forschung & Entwicklung liegen bereits heute höher als in der gesamten EU und steigen schneller als in den USA. Die Anzahl der internationalen Patentanmeldungen ist mittlerweile größer als in Europa, USA und Japan zusammen. Auf internationaler Ebene gilt es, im Rahmen der neuen Seidenstraße ein interkontinentales Infrastrukturnetz zwischen Asien, Europa und Afrika voranzutreiben. Bis zum Jahre 2049, sprich dem 100-jährigen Gründungsjubiläum der Volksrepublik China, soll das Land modern, stark und wohlhabend sein. Dann wird es die USA als Weltmacht Nr. 1 längst abgelöst haben.

Andreas Grünewald
Andreas Grünewald

Andreas Grünewald ist Gründer und Vorstand der Münchner Vermögensverwaltung FIVV AG. Das Unternehmen betreut Privat- und Unternehmerkunden, institutionelle Anleger und Stiftungen in ganz Deutschland. Als erster unabhängiger, deutscher Vermögensverwalter unterhält die FIVV AG seit dem Jahr 2005 neben dem Hauptsitz in München zusätzlich eine Repräsentanz in Peking.

Darüber hinaus ist Andreas Grünewald seit 2014 Vorstandsvorsitzender des Verbandes unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e. V. (VuV), ist Fachautor und Referent sowie Gastdozent an Schulen und Universitäten.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch