China steht vor dem Problem massiver Überkapazitäten. Eine Ursache liegt in der Protektion von Staatsbetrieben durch Lokalregierungen. Inwieweit Fusionen hier ein Teil der Lösung sind und welche ordnungspolitischen Fragen so manche Outbound-Übernahme aufwirft, erklärt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China.
Unternehmeredition: Wie wirkt sich die Abkühlung des Wachstums derzeit auf das Investitionsumfeld für europäische Unternehmen in China aus?
Jörg Wuttke: Die Investitionen aus der EU in China sind 2015 um ca. 10% zurückgegangen und fielen damit unter 10 Mrd. Euro. Das steht im Gegensatz zu den zunehmenden chinesischen Investitionen in Europa. Diese stiegen im letzten Jahr um 25% auf über 22 Mrd. Euro. Die ersten Monate dieses Jahres haben mit den Übernahmen von KraussMaffei und Syngenta durch ChemChina bereits wieder gezeigt, wie interessant Europa für China ist. China dagegen wird aufgrund der wirtschaftlichen Gegenwinde leider für europäische Unternehmen derzeit unattraktiver.
In welchen Branchen wünscht die chinesische Regierung mit Blick auf die Modernisierung der Wirtschaft verstärkte ausländische Investitionen?
Die Regierung hat ihre Wünsche im Plan „Made in China 2025“ klar formuliert: So will sich China im Bereich Semiconductor positionieren, was natürlich eher zu den Stärken amerikanischer Produktportfolios zählt. Darüber hinaus setzt man auf Health Care, Basic Materials, Robotik sowie Agrarwirtschaft. Wir gewinnen den Eindruck, dass sich dadurch einige interessante Geschäftsfelder für europäische Industrien und Firmen auftun. Auf der anderen Seite setzen die Ankündigungen von „Made in China 2025“ relativ deutlich das Zeichen, dass es eben nicht um „Made by Europeans in China“ geht, sondern um „Made by Chinese in China“. Dadurch sehen wir in den nächsten zehn Jahren auch einen erhöhten Konkurrenzdruck auf uns zukommen.
Welche Rolle spielen für europäische Unternehmen M&A als eine Form der Direktinvestitionen in China?
Die meisten Unternehmen gehen über Greenfield-Investitionen nach China. Manche müssen oder wollen über Joint Ventures agieren. Die wenigsten versuchen sich in M&A-Aktivitäten, da die Preise für chinesische Firmen äußerst hoch sind, das Angebot attraktiver Ziele hingegen sehr klein ist. Oftmals verhindern auch politische Sperren die Akquise chinesischer Unternehmen. Da gibt es immer noch die Beschränkungen im Investitionskatalog der National Development and Reform Commission. Daher ist das Portfolio für Investitionen relativ klein, während beispielsweise die Chinesen in Europa mit sehr großem Volumen im M&A aktiv sind und kaum Greenfield-Investitionen tätigen.
Die EU-Handelskammer in China hat die Problematik der Überkapazitäten der chinesischen Industrie in einer Studie untersucht. Inwieweit behindern Überkapazitäten die Modernisierungsbestrebungen des Landes?
Die Überkapazitäten sind primär im kapitalintensiven Bereich angesiedelt. Die Probleme in diesem Sektor haben mit dem Immobilienboom der letzten zehn Jahren zu tun. Überbordender Optimismus und fester Glaube an die Notwendigkeit hoher Marktanteile auf Unternehmensseite führen dazu, dass keiner den Markt verlässt. Bei uns in Europa stellen Bankrotte einen Exitmechanismus dar. Da die Sektoren, die wir untersucht haben, aber gerade von lokalen staatseigenen Betrieben dominiert werden, können die Anbieter alle mit Hilfe von Subventionen weitermachen. Und es wird auch bei Umweltproblemen ein Auge zugedrückt. Somit werden diese Unternehmen nie richtig innovativ sein und sich durch Produktspezifizierung differenzieren können. Denn jeder ist in erster Linie mit dem Kampf ums eigene Überleben beschäftigt.
Welche Rolle können angesichts dieser Probleme mit den Überkapazitäten Fusionen und Übernahmen der einheimischen Unternehmen untereinander – oder auch durch ausländische Unternehmen – für eine Konsolidierung spielen?
Konsolidierung durch Übernahmen ist sicherlich eine der Möglichkeiten. Es wird allerdings bereits seit geraumer Zeit davon gesprochen. Am Ende helfen nur Marktkräfte, um zu sehen, wer gewinnt und wer verliert. Es gibt schließlich auch sehr gute Firmen, die in der derzeitigen Situation an die Wand gedrückt werden. Es wird sich zeigen, inwieweit ein Umschwung stattfindet. Die gute Nachricht ist, dass zumindest bereits Gelder in Höhe von 100 Mrd. Renminbi zur Verfügung gestellt werden, 60% davon bereits dieses Jahr. Damit sollen Transaktionen unterstützt werden. Das ist zwar ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin ein guter Anfang.
Staatsunternehmen sehen ihr primäres Ziel häufig in einem möglichst großen Marktanteil, gleichzeitig verfügen sie über starke finanzielle Rückendeckung durch die staatlichen Banken. Wie schätzen Sie es ein, wenn diese Unternehmen verstärkt im Ausland Unternehmen zukaufen?
Es gibt viele gute Unternehmen – gerade aus dem privaten Bereich – die in Europa investieren. Ein Vorzeigebeispiel hierfür ist Sany mit der Übernahme von Putzmeister – oder Geely, die Volvo gekauft haben. Hier folgt die Flagge dem Geld und nicht umgekehrt. Im Fall von ChemChina war hingegen bei der Übernahme von Syngenta nicht ganz so klar, inwieweit hier das Geld der Flagge folgte, d.h. inwieweit es ein gesteuerter oder privatwirtschaftlich angedachter Deal war. Wir dürfen in Europa allerdings auch nicht in Panik geraten und alle Investitionen auf den Prüfstand stellen. Denn die Privatunternehmen haben sich bei ihren Transaktionen wirklich stets marktwirtschaftlich verhalten. Aber in der Tat muss man sehen, ob Firmen, die unbegrenzt finanzielle Zuwendungen erhalten, ungehindert in Europa einkaufen gehen können. Zumal diese Unternehmen aktiv in unsere Marktwirtschaft eingreifen und beispielsweise legitime Deals von hiesigen Aktiengesellschaften verhindern, da sie mehr auf den Tisch legen können. Sie führen damit die Staatswirtschaft in einigen Teilen unserer europäischen Industrie mit ein.
Unternehmen wie Huawei investieren massiv in eigene Forschung und Entwicklung. Übernahmen von ausländischen Unternehmen indes werden in China bevorzugt als eine Abkürzung zum Upgrade der eigenen Industrie gesehen. Wie bewerten Sie dies?
Huawei ist ein Musterbeispiel, wie man es richtig macht. Das Unternehmen investiert in die Technologieregionen Deutschlands, stellt Leute vor Ort ein und integriert Deutschland in die chinesische Demand-Story. Das sollte man auf alle Fälle so beibehalten. Von der breiten Bevölkerung wird aber womöglich irgendwann die Frage gestellt, wie es weitergeht, wenn sich andererseits Staatsunternehmen in Deutschland und in Europa im High Tech-Bereich einkaufen. Der Syngenta-Deal von ChemChina ist ein Beispiel und man fragt sicher, wer als nächstes dran ist. Man sieht dann die Liste der Branchen im Plan „Made in China 2025“ mit anderen Augen. Natürlich ist es für die chinesischen Unternehmen legitim, dies so zu machen. Schließlich legen sie ja wirklich Geld auf den Tisch. Die Frage ist letztendlich, ob das die europäische Öffentlichkeit und die Politik weiter so zulassen.
Herr Wuttke, vielen Dank für das Gespräch.
Jörg Wuttke steht seit 20 Jahren einem multinationalen europäischen Unternehmen in Beijing vor und ist seit 2014 Präsident der EU-Handelskammer in China, die die Interessen von mehr als 1.600 Mitgliedsunternehmen vertritt. Schon einmal, zwischen 2007 und 2010, hielt er diese Position inne. Von 2001 bis 2004 war Wuttke Vorsitzender der Deutschen Handelskammer in China. Seit der Gründung 2013 ist er darüber hinaus Mitglied im Kuratorium des in Berlin beheimaten Mercator Institute for China Studies (MERICS).
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