EU-Verordnung – stärkere Reglementierung chinesischer Direktinvestitionen?

Am 10. April 2019 ist die Verordnung (EU) 2019/452 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union in Kraft getreten. Erstmals hat die EU einen gemeinsamen Rahmen geschaffen für eine unionsweite Koordinierung und Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und der Kommission, wenn es um die Überprüfung von Foreign Direct Investments (FDIs) geht, die voraussichtlich die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung beeinträchtigen. Von Dr. Marco Zessel

Flaggen der Staaten, die eine Investitionsprüfung und -kontrolle gesetzlich geregelt haben.
Quelle: GvW

Nach Ablauf einer Übergangsphase von 18 Monaten wird die neue Verordnung ab dem 11. Oktober 2020 gelten. Die Verordnung deckt alle Investitionen von Investoren aus Drittstaaten in der Union ab – mit Ausnahme von Portfolioinvestitionen.

Keine supranationale Entscheidungshoheit

Die Verordnung schreibt den Mitgliedstaaten nicht vor, Mechanismen zur Überprüfung von FDIs in ihrem Hoheitsgebiet einzurichten, aufrechtzuerhalten oder zu ändern. Es ist daher weiterhin die freie Entscheidung der Mitgliedstaaten, ob und wie sie Direktinvestitionen prüfen – aktuell haben 14 Mitgliedstaaten nationale Prüfungsmechanismen installiert. Auch verbleibt die Entscheidungshoheit darüber, ob eine Investition genehmigt oder untersagt wird, bei dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Investment erfolgt. Insoweit sind die Grenzen der Verordnung klar gesteckt.

Anleitung zur Überprüfung von FDIs

Wie auch bei der deutschen Investitionsprüfung steht bei der Verordnung im Mittelpunkt, ob eine ausländische Direktinvestition voraussichtlich die Sicherheit oder öffentliche Ordnung beeinträchtigt. Da es in den Mitgliedstaaten bislang keine einheitliche Praxis gibt, stellt die Verordnung eine – nicht abschließende – Liste von Faktoren bereit, die bei der Prüfung berücksichtigt werden können. Hierzu zählen potenzielle Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen, wie Energie, Verkehr, Wasser, Gesundheit, Kommunikation, Medien, Datenverarbeitung oder -speicherung, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Wahl- oder Finanzinfrastrukturen, und Auswirkungen auf kritische (Schlüssel-)Technologien (u.a. künstliche Intelligenz, Robotik), auf die Versorgung mit kritischen Ressourcen, auf den Zugang zu sensiblen Informationen sowie auf die Freiheit und Pluralität der Medien. Zudem darf auch berücksichtigt werden, ob der ausländische Investor unter staatlicher Kontrolle steht. Dies trifft auf chinesische Staatsunternehmen (SOE) zu.

Zusammenarbeit und Überprüfung

Die Verordnung sieht einen Kooperationsmechanismus vor, bei dem es sich im Wesentlichen um ein Informationsaustauschsystem zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission handelt. Hier sollen vor allem Bedenken in Bezug auf FDIs mit Blick auf die Sicherheit und öffentliche Ordnung der EU und einzelner Mitgliedstaaten ausgetauscht werden. Hierbei wird danach differenziert, ob der vom FDI betroffene Mitgliedstaat das geplante Investment einer nationalen Überprüfung unterzieht oder nicht. Im ersten Fall hat der von einem geplanten FDI betroffene Mitgliedstaat die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten zu informieren. Dabei hat er Angaben zur Eigentümerstruktur des Investors und des Targets zu machen genauso wie zu den Geschäftsbereichen des Investors und des Targets, der Finanzierung der Investition und ihrer Quelle sowie dem Zeitrahmen für das Investment.

Im Anschluss können andere Mitgliedstaaten Kommentare abgeben, wenn sie der Auffassung sind, ihre Sicherheit oder öffentliche Ordnung werde durch das FDI voraussichtlich beeinträchtigt, und zusätzliche Informationen anfordern. Die Kommission kann dann eine Stellungnahme abgeben, wenn sie der Auffassung ist, (1) die Sicherheit oder öffentliche Ordnung werde in mehr als einem Mitgliedstaat gestört oder (2) Projekte oder Programme von Unionsinteresse aus Gründen der Sicherheit oder öffentlichen Ordnung voraussichtlich beeinträchtigt werden. Kommentare der Mitgliedstaaten und die Stellungnahme der Kommission sind angemessen zu berücksichtigen, jedoch nicht verbindlich. In der Regel sollen sie spätestens 35 Tage nach Übermittlung der Informationen zum FDI abgegeben werden. Jedoch kann die Überprüfung länger dauern, wenn die Kommission oder Mitgliedstaaten um zusätzliche Informationen ersucht haben. Wird eine Direktinvestition nach nationalem Recht keiner Überprüfung unterzogen, dürfen dennoch andere Mitgliedstaaten Kommentare und die Kommission eine Stellungnahme abgeben. Die Frist hierfür endet 15 Monate nach Abschluss des FDI.

Ausblick

Die Verordnung wird wahrscheinlich sowohl inhaltliche als auch prozessuale Auswirkungen auf nationale Überprüfungsmechanismen haben. Mitgliedstaaten, die bereits über Investitionskontrollen verfügen, werden für die Überprüfung von FDIs vermutlich ein strengeres Screening-Regime umsetzen und insbesondere die in der Verordnung aufgelisteten Faktoren (eventuell auch weitere) einbeziehen. Auch wird national geprüft werden, ob der zeitliche Ablauf nach nationalem Recht sicherstellt, dass man die Kommentare anderer Mitgliedstaaten und eine Stellungnahme der Kommission vor Erlass der nationalen Entscheidung ausreichend berücksichtigen kann. Bei Unvereinbarkeit der Fristen werden weitere Anpassungen nationalen Rechts erfolgen. Insgesamt reiht sich der EU-Rahmen in die sowohl national als auch international steigende Tendenz zum Protektionismus ein, vor allem wenn es um strategisch essenzielle Wirtschaftssektoren geht. Ob eine sinnvolle Umsetzung auf nationaler Ebene gelingt, bleibt abzuwarten. Bei M&A-Projekten mit chinesischen Investoren wird die Investitionskontrolle ein noch wichtigeres Thema – sowohl inhaltlich als auch bei der zeitlichen Planung des M&A-Prozesses.

Porträt Dr. Marco Zessel
Dr. Marco Zessel

Dr. Marco Zessel ist Rechtsanwalt und Partner bei GvW Graf von Westphalen. Als verantwortlicher Ansprechpartner der China Practice für das China Outbound-Geschäft berät er insbesondere chinesische Privatinvestoren bei M&A-Transaktionen, Joint Ventures und Gesellschaftsgründungen in Deutschland. Marco Zessel hat zahlreiche chinesisch-deutsche M&A-Projekte begleitet.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch