2021 wurden wichtige Neuerungen zur Investitionskontrolle verabschiedet. Ausgangspunkt dafür war neben der Covid-19-Pandemie die EU-Verordnung 2019/452 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union. Vor diesem Hintergrund wurde mit der AWG-Novelle 2020 das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) geändert. Im Oktober 2020 und April 2021 wurden zusätzlich zwei Verordnungen zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) verabschiedet. Im Ergebnis wurde dadurch der Maßstab für die Prüfung von Investitionen verschärft und der Anwendungsbereich auf 16 weitere Schlüsseltechnologien erweitert. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber das deutsche Außenwirtschaftsrecht an die Vorgaben des europarechtlichen Rahmens zur Investitionskontrolle angepasst. Unverändert verbleiben die Prüfung und ggf. Untersagung ausländischer Übernahmen weiterhin allein in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. Der folgende Beitrag erörtert die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen auf M&A-Transaktionen und gibt Handlungsempfehlungen. VON THOMAS WEIDLICH und DR. YUAN SHEN
Am 27. April 2021 hat die damalige Bundesregierung die 17. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung verabschiedet. Vier Tage später, am 1. Mai 2021, ist sie dann bereits in Kraft getreten. Mit dieser vierten Änderung im Außenwirtschaftsrecht wird die Meldepflicht für ausländische Beteiligungen an inländischen Unternehmen nochmals erheblich erweitert. Ob damit ein Schlusspunkt unter die grundlegende Reform des AWG und der deutschen Investitionskontrolle gesetzt ist, bleibt angesichts der Ankündigungen der neuen Ampelkoalition zum kritischeren Umgang mit China abzuwarten.
Überblick
An der grundsätzlichen Unterteilung zwischen sektorübergreifender (§§ 55 ff. AWV) und sektorspezifischer (§§ 60 ff. AWV) Prüfung hat sich nichts geändert. Das allgemeine sektorübergreifende Verfahren richtet sich weiterhin an Investoren aus dem Nicht-EU-Ausland in allen Branchen, während die sektorspezifische Investitionskontrolle alle ausländischen Erwerber betrifft und bei Akquisitionen in der Verteidigungsindustrie und besonders sicherheitssensiblen Bereichen zur Anwendung kommt. Bereits bei den letzten Änderungsrunden wurde die Aufgreifschwelle teilweise von 25% auf 10% der Stimmrechte für besonders kritische Sektoren abgesenkt, mit der jüngsten Novelle kommen nun weitere Schwellenwerte hinzu. Das BMWi (unter der neuen Bundesregierung seit 10. Dezember 2021: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) prüft nun relevante Erwerbsvorgänge auf Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Bis zur Freigabe durch das BMWi unterliegen meldepflichtige Erwerbsvorgänge einem Vollzugsverbot. Verbote wurden bislang nur vereinzelt ausgesprochen – die Zahl der Prüfverfahren hat sich von 78 im Jahr 2018 auf 159 im Jahr 2020 aber verdoppelt. Im laufenden Jahr sind bereits in den ersten vier Monaten 142 Fälle beim BMWi registriert. Ein erheblicher Anteil betrifft Anmeldungen chinesischer Investoren.
Zwei Transaktionen wurden laut öffentlich zugängigen Informationen im Jahr 2020 vom BMWi untersagt bzw. sind an sicherheitsrechtlichen Bedenken gescheitert. Außerdem hatte das BMWi im Juli 2020 den Erwerb der deutschen Zielgesellschaft PPM Pure Metals GmbH untersagt, Ende 2020 wohl aufgrund der besonderen Situation der in Insolvenz geratenen Zielgesellschaft doch freigegeben.
Datum | Investor | Zielgesellschaft | Sektor | Beschreibung |
Oktober 2020 | Zhejiang Shuanghuan Driveline Co., Ltd. | Schmiedetechnik Plettenberg GmbH & Co.KG und Werkzeugtechnik Plettenberg GmbH &Co.KG | Automobil | Der Investor hat laut eigenen Angaben den Erwerb aufgegeben, nachdem es nicht gelungen war, innerhalb des vereinbarten Vollzugsdatums mit dem BMWi eine Einigung über einige im Rahmen der Investitionsprüfung erforderlichen Bedingungen zu erzielen. |
Dezember 2020 | Addsino (Tochter der China Aerospace Science and Industry Corporation) | IMST GmbH |
Satellit, Kommunikation, Radar |
Das BMWi hat die Transaktion untersagt. Laut BMWi könne der Erwerb die technologische Souveränität Deutschlands gefährden, da IMST ein wichtiger Anbieter von Satellitenkommunikation, Radar- und Funktechnik (insbesondere 5G-Technologie) ist. |
Dezember 2020 | VITAL Materials Co., Ltd. | PPM Pure Metals GmbH | Metallurgie | Das BMWi hat den Erwerb zunächst blockiert, da die Zielgesellschaft das deutsche Militär beliefert. Im Dezember 2020 wurde die Übernahme schließlich doch abgeschlossen. |
(Quellen: MERICS and Rhodium Group, eigene Recherche)
Meldepflicht für Schlüsseltechnologien
Die in der Praxis wohl gravierendste Neuerung ist die Aufnahme 16 neuer Industriesektoren in § 55a AWV, um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern. Wie bei der EU und anderen Mitgliedstaaten stehen Technologieunternehmen im Fokus, die vor allem vor dem Zugriff aus China geschützt werden sollen. Man hat zusätzliche Fallgruppen von meldepflichtigen Tätigkeiten der Zielgesellschaft nach den Vorschriften zur sektorübergreifenden Prüfung eingeführt (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 2 AWG und §§ 55 bis 59 AWV); die Zahl der Fallgruppen, die den verschärften Regelungen unterliegen, steigt von elf auf 27. Die neuen Fallgruppen entsprechen im Wesentlichen den in der EU-Screening-Verordnung (EU) 2019/452 enthaltenen Sektoren und betreffen Zukunfts- und Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Luft- und Raumfahrt, Robotik, Halbleiter, Quanten- und Nukleartechnologie oder Cybersicherheit.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die damalige Bundesregierung als Reaktion auf die Pandemie Bereiche im Gesundheitssektor wie etwa Hersteller von Impfstoffen, Medikamenten oder Schutzausrüstung als besonders schützenswert festgelegt (Nr. 8 bis 11), die neuen Schlüsseltechnologien finden sich ab Nr. 12. Für Zielgesellschaften, die von den Fallgruppen der Nr. 8 bis Nr. 27 erfasst werden (also insbesondere der Gesundheitssektor und andere Zukunftstechnologien), liegt der Schwellenwert für Stimmrechte, ab dem eine Meldepflicht ausgelöst wird, bei 20%. Für Zielgesellschaften, die von den Fallgruppen der Nr. 1 bis Nr. 7 erfasst werden und bisher schon als sensitiv klassifiziert wurden (insbesondere kritische Infrastrukturen), bleibt der Schwellenwert bei 10%.
Erweiterung der sektorspezifischen Prüfung
Zugleich wurde die sektorspezifische Prüfung (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 3 AWG sowie §§ 60 bis 62 AWV) auf Unternehmen erweitert, die in der engeren Wertschöpfungskette der Ausfuhrliste der BAFA tätig sind. Erfasst sind nun auch Investitionen in Unternehmen, die Rüstungsgüter entwickeln, herstellen, modifizieren oder die tatsächliche Gewalt über sie innehaben. Hier sind sämtliche Rüstungsgüter im Sinne des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste relevant – zuvor waren lediglich fünf der insgesamt 22 Listenpositionen erfasst. Dabei sollen bereits Kenntnisse oder der sonstige Zugang zu der zugrunde liegenden Technologie ausreichen. Daneben wurden weitere Bereiche der IT-Sicherheit und Kryptotechnologie in den Prüfungskatalog einbezogen.
Unbedenklichkeitsbescheinigung und informelle Voranfrage
Bereits vor dem Erwerb kann der ausländische Investor im sektorübergreifenden Verfahren eine rechtsverbindliche Unbedenklichkeitsbescheinigung beim BMWi beantragen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AWV). Wegen des neuen § 58 Abs. 3 AWV gilt dieses aber nicht mehr für meldepflichtige Erwerbsvorgänge. Meldepflicht und Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung schließen sich jetzt also aus. Informelle Voranfragen bleiben aber weiterhin möglich.
Vereinheitlichung von Fristen
Das BMWi soll künftig zwischen den Prüfungsverfahren wechseln können. Daher hat man im neuen § 58a AWV die Fristen der sektorspezifischen und der sektorübergreifenden Prüfung angepasst, vgl. § 61 AWV n.F. Ein nach Meldung einer Transaktion eingeleitetes Vorverfahren endet entweder durch Freigabe oder Freigabefiktion, wobei dies nach § 14a AWG in beiden Verfahren grundsätzlich dann eintritt, wenn das Ministerium nicht innerhalb von zwei Monaten nach Kenntnis das Prüfverfahren einleitet oder sonst innerhalb von vier Monaten entscheidet.
Auswirkungen auf die Transaktionspraxis
Durch die 17. AWV-Novelle sind die Anforderungen an die rechtliche Bewertung der Meldepflichten und Genehmigungschancen deutlich gestiegen, was sich auf den Zeitplan vieler Transaktionen auswirken wird. Mit dem Fokus auf Zukunftstechnologien kommen nun auch stärker Venture-Capital-Beteiligungen mit dem AWG und der AWV in Berührung. Auch steht noch der Praxistest der Anwendung durch das BMWi aus. Bereits jetzt befinden sich deutlich mehr Unternehmen im Radius der Investitionsprüfung. Es steht zu erwarten, dass die meldepflichtigen Übernahmen weiter stark ansteigen werden. Alle im Transaktionsprozess beteiligten Parteien sind gut beraten, sich frühzeitig mit den Vorgaben der Investitionskontrolle zu befassen und ggf. im Vorfeld auf das BMWi zuzugehen – umso mehr, als bei Verstößen teils drakonische Sanktionen bis hin zu Haftstrafen drohen.
Thomas Weidlich
Thomas Weidlich, LL.M. (Hull) gehört der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft seit 1996 an. Zwischen 2000 und 2005 hat er das Büro der Kanzlei in Singapur geleitet. Seit 2005 ist er verantwortlicher Partner für die rechtliche Beratung im gesamten Asien-Pazifik-Raum mit Schwerpunkt auf China und Indien. Thomas Weidlich ist ausgewiesener Experte für die Beratung und Koordination von grenzüberschreitenden Unternehmenskäufen, Joint Ventures, Börsengängen und Restrukturierungen.
Yuan Shen
Dr. SHEN Yuan, LL.M. (CUPL/Köln) | ist als Anwältin in China zugelassen und seit 2010 im Kölner Büro der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft tätig. Als Counsel konzentriert sie sich in ihrer Beratungstätigkeit auf die Unterstützung deutscher und europäischer Mandanten in den Bereichen Unternehmensgründung, Joint Ventures sowie Arbeitsrecht in China. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Betreuung von chinesischen Unternehmen bei Investitionen in Europa (M&A, Arbeitsrecht, Greenfield Investment).
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