Können Chinas Aktienmärkte von Reformen profitieren?

Während Chinas Wirtschaft wächst und wächst, sind die Aktienmärkte auf Zehnjahressicht kaum von der Stelle gekommen. Die Gründe hierfür liegen in der speziellen Struktur der Finanzmärkte und der enormen Dominanz der Kleinanleger. Doch die jüngst initiierten Reformen könnten dies ändern.

Profitieren Chinas Aktienmärkte von Reformen?
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Im Juni dieses Jahres wurde Gangyu Huang vorzeitig auf Bewährung entlassen, nachdem er zehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Im März 2010 war Huang, einer von Chinas ersten Milliardären, zu insgesamt 14 Jahren wegen Bestechung, Bilanzfälschung, Insiderhandel und Kursmanipulation verurteilt wurden. Huang hatte den Elektronikeinzelhändler GOME Electrical Appliances aufgebaut und groß gemacht. Als die Nachricht von Huangs Entlassung bekannt wurde, reagierten Chinas Finanzmärkte deutlich: Die Aktien des Unternehmens stiegen um rund 20%, die des ebenfalls börsennotierten Finanzarms des Konzerns sogar um über 50%. In den sozialen Netzwerken Chinas machte sofort ein Witz die Runde: Nicht nur Huangs Frau habe zehn Jahre auf die Rückkehr ihres Ehemanns gewartet, sondern auch der Shanghai Composite Index (SCI).

Flash-Bubble und mehr

Tatsächlich nämlich wies der Index Ende Juni 2020 mehr oder weniger genau den Wert aus (3.004 Punkte), den er auch bei Huangs Verhaftung im März 2010 hatte (3.074 Punkte). Es ist ein bemerkenswerter Umstand: Während sich das chinesische Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen zehn Jahren von rund 6 Bio. USD auf fast 16 Bio. USD im Jahr 2020 mehr als verdoppelt hat, sind Chinas Aktienmärkte kaum von der Stelle gekommen. Auch wenn es dazwischen spektakuläre Entwicklungen gab, wie beispielsweise die „Flash-Bubble“ in der ersten Jahreshälfte 2015 als sich die Kurse in Shanghai binnen weniger Monate mehr als verdoppelten und dann innerhalb kürzester Zeit wieder kollabierten.

Kleinanleger dominieren Chinas Aktienmärkte

Die Gründe hierfür sind vielfältig – am Wichtigsten ist vermutlich, dass in China der Aktienmarkt nicht als Möglichkeit gilt, mit langfristigen Investitionen Vermögen aufzubauen bzw. zu erhalten. „Echte“ Investments werden nahezu ausschließlich in Immobilien getätigt oder direkt in ein eigenes zweites oder drittes Unternehmen. Am Aktienmarkt zocken die Anleger in erster Linie – sie verstehen Chinas Finanzmärkte primär als Glücksspiel. Die Folge ist, dass es – anders als im Westen – so gut wie keine institutionellen Investoren gibt. Weit mehr als 90% der Anleger in China sind Kleinanleger. Sie folgen keinem System oder bestimmten Regeln, sondern handeln auf Empfehlung von Verwandten, Freunden oder Nachbarn kaufen. Die Folge sind entsprechend erratische Kursbewegungen, die dann noch durch die Emotionen der breiten Anlegermasse zusätzlich verstärkt werden.

PR-Bilanzen ohne Aktionärsschutz

Zudem machen es chinesische Unternehmen ihren Anlegern oft auch schwer. Die bilanzierten Zahlen sind in vielen Fällen mehr Wunschdenken und Marketing als wirklich handfester Beleg der unternehmerischen Entwicklung. Aktionärsschutzvereinigungen, die Bilanzen auf Herz und Nieren prüfen, gibt es kaum. An die Anleger wird zumeist als letztes, wenn überhaupt gedacht – entsprechend ist Transparenz im Sinne der Investoren eher unbekannt.

Auch gibt es kaum ausländische Investoren an Chinas Aktienmärkten. Während die Anteile des DAX zu ca. 55% im Ausland liegen und es für deutsche Anleger völlig problemlos möglich ist, in New York, Tokyo oder London Unternehmensanteile zu kaufen, können chinesische Privatanleger nicht ins Ausland und chinesische Aktien können von Ausländern ebenfalls nur unter extrem erschwerten Bedingungen erworben werden – wenn überhaupt. Allerdings ändert sich dieser Punkt gerade.

Ausländisches Kapital

Chinas Finanzmärkte wurden seit 2019 vielen Reformen unterzogen. Die „Qualified Foreign Institutional Investor“-Programme (QFII) sind seither deutlich vereinfacht und viele Limitierungen gelten nicht länger. Dabei sind die Aufhebung der Obergrenzen für Einzelbeteiligungen und das Ende der Beschränkung der gesamten Investmentsummen von besonderer Bedeutung. Des Weiteren hat die chinesische Regierung sogenannte Stock Connect Programme ins Leben gerufen. Diese ermöglichen es beispielsweise Investoren in Hong Kong, London und bald wohl auch Paris ermöglichen, direkt an den Börsen in Shanghai und Shenzhen zu investieren. Darüber hinaus wird es für chinesische Unternehmen zunehmend leichter an die Börse zu gehen. Das gilt insbesondere für Technologieaktien. Für sie wurde im vergangenen Jahr eigens ein neues Marktsegment – der Shanghai Star Market – kreiert.

Zusätzlich hat einer der führenden Indexanbieter, MSCI, beschlossen, den Anteil der chinesischen A-Aktien bei seinen Indizes wie dem MSCI Emerging Markets Index oder den All Country World Index sukzessive deutlich aufzustocken. Das bedeutet, jeder ETF und jeder Fonds, der sich an diesen Indizes orientiert oder sie gar 1:1 abbildet, muss entsprechende Investments in China tätigen. Es wird also sehr viel mehr ausländisches Kapital in den kommenden Jahren an die Börsen von Shanghai und Shenzhen fließen.

Auch wird der Shanghai Composite Index (SCI) erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1991 neu zusammengesetzt – mit einem deutlich größeren Gewicht auf Tech-Aktien. Zeitgleich wird es für Börsenneulinge schwieriger werden Teil des SCI zu werden, denn der IPO muss nun wenigstens ein Jahr zurückliegen. Zudem erhalten in Zukunft auch „ausländische“ Unternehmen Zugang zum SCI. Dies gilt insbesondere für die sogenannten „Red Chips“. So bezeichnet man die Aktien jener Unternehmen, die aus Hongkong heraus geführt werden, aber eine chinesische Konzernmutter haben. Auf lange Sicht sollten gerade diese Reformen sowie das zufließende Auslandskapital dem SCI einen deutlichen Wachstumsimpuls.

Chinas Aktienmärkte – Entwicklung des SCI

Chinas Finanzmärkte öffnen sich

Tatsächlich kam nahezu zeitgleich mit Huangs Entlassung Bewegung in Chinas Aktienmärkte (vgl. Abb., grüne Markierung bei Durchbruch der steilen roten Abwärtstrendlinie). Im Sommer gab es einige spektakuläre Börsengänge in Shanghai wie beispielsweise das Zweitlisting von Semiconductor Manufacturing International Corporation (SMIC), bei dem der Chiphersteller mehr als 6,5 Mrd. USD erlöste. Am ersten Handelstag notierten die Aktien bei 95 CNY – und damit rund 350% über dem Ausgabepreis von 27.46 CNY.

Auch der SCI insgesamt hat kräftig zugelegt. Seit Juli ist der Index um rund 15% gestiegen. Noch bleibt freilich abzuwarten, ob dies mehr als eine Momentaufnahme ist. Werden die Kleinanleger dieses Mal länger bei der Stange bleiben? Oder werden in einigen Monaten die ersten Gewinnmitnahmen einsetzen, die dann zum Signal für alle Anleger werden, zu den Ausgängen zu rennen?
China öffnet seine Finanzmärkte zunehmend einem internationalen Publikum. Aber dieses Publikum wird nur dann dauerhaft in China bleiben, wenn die Rendite stimmt. Zeitgleich ist China zunehmend auf dieses zusätzliche Kapital angewiesen. Denn das chinesische Bankensystem alleine wird den Kapitalhunger der Volkswirtschaft nicht dauerhaft befriedigen können. Zumal bereits jetzt die Verschuldungsquoten vieler chinesischer Unternehmen, insbesondere der Staatsbetriebe, ungesunde Höhen erreicht haben.

Im Augenblick jedenfalls kratzt der SCI an seiner leicht fallenden Abwärtslinie aus dem Jahr 2015/2016, die sich zudem auf das Verlaufshoch aus dem Jahr 2018 stützt. (Vgl. Abb., flache rote Linie). Aus charttechnischer Sicht, die sich auch in China zunehmender Beliebtheit erfreut, wäre bei einem Durchbruch der Weg frei in Richtung 4.000 Punkte.

Fazit

Die größte Wachstumsstory der Welt ging – bisher zumindest – am chinesischen Aktienmarkt vorbei. Beziehungsweise, sie fand ihren Niederschlag nur in jenen Unternehmen, die an den US-Börsen oder der Hongkonger Börse gelistet sind. Mit der zunehmenden Öffnung seiner Finanzmärkte könnte China hier die Trendwende einleiten und so den enormen wirtschaftlichen Erfolg auch in Börsenkapital ummünzen. Allerdings ist dies nach wie vor ein weiter Weg und erfordert nicht nur die Fortsetzung des bisherigen Reformkurses. Vielmehr bedarf es auch eines grundlegenden Wandels der Mentalität. Nicht nur bei den Anlegern, sondern auch bei den Unternehmen, wenn Chinas Aktienmärkte dauerhaft erfolgreich und attraktiv werden sollen. Es bleibt spannend, ob und wie es zu diesem kommen wird.

In Ausgabe 01/2019 der Investment Plattform China „Chinas Aktienmärkte“ hatten wir uns bereits intensiv mit der Thematik befasst. Hier finden sie nähere Erläuterungen zu A-, B- und H-Aktien, den Stock Connect Programmen und der grundlegenden Struktur von Chinas Finanzmärkten.


Dieser Artikel wurde in ähnlicher Form zuerst im „weekly“ Newsletter von Smart Investor veröffentlicht und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch