Teil 1: Chinas „Hidden Champions“ fordern deutsche Marktführer heraus

China and Germany flags on chess pawns on a chessboard. 3d illus

99 % der deutschen Unternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen. Entsprechend beherbergt Deutschland zwar nur 28 der Top-500-Unternehmen der Welt, aber 46 % der kleinen Marktführer. Gemessen am Marktanteil sind kleine und mittelständische Familienunternehmen wie Krones und Webasto Global Player. China lernt von diesen markführenden Unternehmen und baut ein eigenes starkes Netz von Champions bei kleineren und mittleren Unternehmen auf.

Damit ein Unternehmen sich zum Hidden Champions qualifiziert, muss es drei Kriterien erfüllen:

  1. Nummer eins, zwei oder drei auf seinem globalen Markt sein
  2. einen geringen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit haben
  3. weniger als 5 Mrd. USD umsetzen.

In Deutschland gibt es mehr solcher Champions als in jedem anderen Land. Gleichzeitig besitzen laut deutschen Medienberichten derzeit mehr als die Hälfte der deutschen „Hidden Champions“ eigene Niederlassungen in China. 60 % davon sind Produktionsstandorte in China, die restlichen 40 % Vertriebs- und Servicegesellschaften. Laut dem Mittelstandsexperten Prof. Simon werden deutsche „Hidden Champions“ nach 30 Jahren Exportboom nun stark durch chinesische Unternehmen herausgefordert. Hauptgrund dafür ist, dass China von deutschen „Hidden Champions“ lernt und aktiv den Aufbau von „Spezialized, Fined, Peculiar and Innovative SMEs (SFPI SMEs)“ und „Manufacturing Single Champions (MSC)“ fördert.

So hat die chinesische Regierung den „SFPI SMEs“ in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dafür hat das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) vorgeschlagen, dass China während des Zeitraums des „14. Fünfjahresplans“ 100.000 „SFPI SMEs“ auf Provinzebene gründen wird und weitere 10.000 Marktführer unter den „SFPI SMEs“, sogenannte „Spezialized, Fined, Peculiar and Innovative Little Giants“ (im Weiteren als „Little Giants“ bezeichnet) etablieren will. Bis Ende Juli 2021 hatte das MIIT insgesamt drei Chargen mit Listen von „Little Giants“ veröffentlicht. In die engere Wahl dafür gezogen wurden im ganzen Land insgesamt 4.762 Unternehmen.

Learnings von Deutschlands Hidden Champions

Mit jeweilig mehr als 260 „Little Giants“ liegen Peking und Shanghai weit vor anderen Städten, wie man   aus der Stadtverteilung der 4.762 „Little Giants“ ersehen kann. Mehr als 100 „Little Giants“ gibt es in Ningbo, Shenzhen, Tianjin, Chongqing und Chengdu. Gleichzeitig ist die Kultivierung von „Little Giants“ immer noch in vielen Städten mit einem BIP von über CNY 1 Billion nicht besonders ausgeprägt.

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Abbildung 1: Geografische Verteilung von „Little Giants“
Datenquellen: MIIT (bis zu Ende Juli 2021)

Mit einem tieferen Verständnis der Erfolgsgründe und -faktoren der deutschen Hidden Champions könnte man nun die Kultivierung hochwertiger „Little Giants“ beschleunigen.

Rückgang der Verarbeitungsindustrie

Aufgrund der Globalisierung, also des offenen Handels, der niedrigen Arbeitskosten in den Entwicklungsländern und des fließenden globalen Kapitals, hat die Verarbeitungsindustrie in den Vereinigten Staaten und den meisten europäischen Ländern begonnen zu schrumpfen. In vielen Industrieländern haben Unternehmen ihre Fertigung allmählich aufgegeben und sich wissens- und dienstleistungsbezogenen Branchen zugewandt. Dabei haben sich deutsche Produktionsunternehmen allerdings ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Welle der Globalisierung bewahrt, insbesondere die deutschen Hidden Champions, die zu einer Benchmark für die KMU auf der Welt geworden sind. Der Erfolg der deutschen Hidden Champions hängt dabei eng mit ihrer Organisationsstruktur zusammen.

Der erste wichtige Faktor dafür ist die Organisationsform Familienunternehmen, die den meisten KMU in Deutschland zu eigen ist. Sie gehen weder an die Börse noch erhalten sie Fremdfinanzierung. Die Familienunternehmer bzw. Eigentümer besitzen ein hohes Maß an Autonomie und Unabhängigkeit. Da sie nicht unter dem Druck externer Aktionäre hinsichtlich kurzfristiger Rentabilität, Marktwert, usw. stehen, planen und treffen sie Entscheidungen mit einer längerfristigen Perspektive.

Zweitens sind die meisten Hidden Champions in Deutschland mit einem flachen Management organisiert, Unternehmensentscheidungen können sehr flexibel und effizient getroffen werden.

Drittens pflegt der Geschäftsinhaber eine enge Beziehung zu den Mitarbeitern. Die Mitarbeiterbindung ist hoch, die Fluktuationsrate äußerst gering. Die Mitarbeiter haben in der langjährigen Arbeit des Unternehmens viel Erfahrung und Technologie-Knowhow gesammelt.

Viertens können KMU wegen der guten Lehrlingsausbildung in Deutschland auf eine große Zahl hochqualifizierter Arbeiter und Techniker für KMU zurückgreifen. Die Löhne deutscher Arbeiter und Techniker sind zwar deutlich höher als in Entwicklungsländern, dafür ist aber auch ihre Arbeitsproduktivität extrem hoch, wodurch Niedriglohnarbeit in Entwicklungsländern gegenüber den höheren Löhnen bei aber höherer Produktivität keine Vorteile mehr bietet.

Fünftens nehmen deutsche KMU den internationalen Markt aktiv wahr und sind gut darin, externe Chancen zu entdecken und zu ergreifen.

Neben den oben genannten Faktoren liegt vermutlich der Hauptgrund für den Erfolg der deutschen KMUs darin, dass sie sich auf Innovation und technologischen Fortschritt konzentrieren, die Produktionsqualität kontinuierlich verbessern und so ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt erhalten. Insbesondere erhalten deutsche Unternehmen auch staatliche Förderung und kooperieren gleichzeitig mit Forschungseinrichtungen oder Universitäten. Dadurch haben sie eine Vorreiterrolle in innovativer Forschung und Entwicklung übernommen.

China bei Innovationen auf dem Vormarsch

Ein Trend ist nun bemerkenswert: Obwohl chinesische Unternehmen langsamer starten, gehen chinesische Unternehmen im Unterschied zu deutschen „Hidden Champions“ früh an die Börse und investieren dann die am Kapitalmarkt erhaltenen Mittel in Wachstum und F&E. Von den 4.762 chinesischen „Little Giants“ sind bereits 311 als A-Aktien notiert. Entsprechend wachsen chinesische Unternehmen oft schneller als ihre deutschen Pendants, und die Zahl der F&E-Mitarbeiter ist vier- bis fünfmal so hoch wie bei deutschen Unternehmen gleicher Größe. Gleichzeitig meldet China jedes Jahr mehr als eine Million Patente an.

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Abbildung 2:Branchenverteilung von „Little Giants“
Datenquellen: Zero2IPO Group (bis zu Ende 2021)
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Abbildung 3: Branchensegmentenverteilung von 311 „Little Giants“, die an A-Aktien notiert sind
Datenquellen: MIIT (bis zu Ende Juli 2021)

Auf der anderen Seite können chinesische Unternehmen immer noch viel von den Erfahrungen der deutschen Hidden Champions lernen. Neben der Notwendigkeit zur Verbesserung der Bedingungen bei Kapital, Technologie und Talenten muss die chinesische Regierung auch ein Geschäftsumfeld schaffen, das für die Entwicklung „innovativer KMU“ geeignet ist. Forschung und Entwicklung bei KMU unterliegen nicht der Entwicklungslogik reifer Unternehmen. Das von KMU geforderte politische Dienstleistungsumfeld unterscheidet sich ebenfalls von dem bei reifen Firmen. In vielen Regionen Chinas erwirtschaften staatseigene und große Unternehmen einen hohen Anteil am Produktionswert und Gewinn. Das System und der Mechanismus der staatlichen Dienstleistungsorganisation eignen sich relativ gut für die Entwicklung solcher großen Unternehmen, aber bei der Erfüllung der Bedürfnisse kleiner und mittlerer innovativer Unternehmen gibt es eine große Lücke. Das wiederum hat die Regierung in China bereits erkannt.

Wie China konkret den Aufbau von Hidden Champions fördert, erläutern wir in „Teil 2: Chinas „Hidden Champions“ fordern deutsche Marktführer heraus“.

Rüdiger Goll

geschäftsführender Gesellschafter von Industrie Consult. 1991 gründete Rüdiger Goll die Industrie Consult International M&A GmbH und ist seitdem geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens. Industrie Consult ist eine national und international tätige, bankenunabhängige Beratungsgesellschaft im Bereich Mergers & Acquisitions und Corporate Finance. Zu den Klienten gehören mehrheitlich mittelständische Familienunternehmen, internationale Konzerne sowie Finanzinvestoren, wie z.B. Private Equity Fonds oder Family Offices.

Rüdiger Goll ist auch Mitbegründer der internationalen euroMerger-Gruppe. Mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung im M&A-Bereich zeichnete sich Rüdiger Goll für den Abschluss einer Vielzahl von nationalen und internationalen Transaktionen verantwortlich. Er bemerkte schon früh die Möglichkeit eines Booms bei M&A zwischen China und Europa und macht jetzt Geschäfte in China über das Büro in Shanghai. Er sieht im chinesischen Markt eine große Chance für deutsche Unternehmen.