Von Deng zu Xi – anschaulich erklärt

The Great Hall of People, Beijing, China

Bildnachweis: Adobe Stock – nyiragongo.

Am 18. Oktober 2017 kündigte Präsident Xi Jinping auf dem 19. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas in einer 3,5-stündigen Marathonrede den Beginn einer „neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“ an. Die Kombination aus Anlass, Länge und Inhalt machten sofort klar, dass dies keine normale Rede war, sondern ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel.

Die „neue Ära“

Xi selbst grenzte sich mit dem Begriff „neue Ära“ von seinen Vorgängern ab. Mit einer an Chinas eigene Bedingungen angepassten Marktwirtschaft („Sozialismus chinesischer Prägung“) erzielte das Land in den vorherigen 40 Jahren einen beispiellosen wirtschaftlichen Erfolg. Xis „neue Ära“ bringt nun grundlegende Änderungen von der „Ära Deng“.

Ausgewogeneres Wirtschaftswachstum

Erstens strebt Xi ein ausgewogeneres Wirtschaftswachstum an. Deng folgte der Maxime„Wohlstand für einige [kurzfristig], um Wohlstand für alle [langfristig] zu erreichen“ und tolerierte die resultierende ungleichmäßige Entwicklung. Dengs Ansatz führte jedoch auch zu phänomenaler wirtschaftlicher Ungleichheit. Der Gini-Koeffizient betrug im Jahr 2018 satte 0,468 (Deutschland: 0,319). „Um das Ziel einer „Gesellschaft mit moderatem Wohlstand“ bis 2020 zu erreichen und die „große Revitalisierung der chinesischen Nation“ zu erreichen, wurde bereits seit Xis Amtsantritt im Jahr 2012 ein ausgewogeneres Wirtschaftswachstum mit besonderem Fokus auf lange marginalisierte Regionen gefördert. Ob dies allerdings ausreicht, oder ob auch massive Umverteilung des erreichten Wohlstands erforderlich wird, ist eine der großen Fragen des nächsten Jahrzehnts.

Industrielle Innovationen

Zweitens forciert Xis China industrielle Innovationen. China hat ein Niveau erreicht, bei dem die Produktion billiger Waren das erforderliche Wachstum nicht weiter stützen kann. Die Regierung stellt es so dar: China öffnet sich weiter, und Barrieren für ausländische Investoren werden abgebaut. Gleichzeitig wird die heimische Innovationsfähigkeit in den Bereichen Digital, Ingenieurwesen, Genetik, Luft- und Raumfahrt, Cyberspace und intelligente Technologien gestärkt. Wie genau dies ausgestaltet wird, welche Widersprüche sich damit auftun und inwiefern sich Chinas Wirtschaft insgesamt zu einer Innovationsgesellschaft wandeln kann, ist eine weitere große Frage des nächsten Jahrzehnts.

Rechtsstaatlichkeit

Drittens betont Xi die Rechtsstaatlichkeit. In der „Rechtsstaatlichkeit chinesischer Prägung“ dient die Kommunistische Partei als Hauptvollstrecker des Gesetzes, und eine Anfechtung der Parteiautorität wird niemals toleriert. Wir erwarten somit eine noch stärkere Durchsetzung der Gesetze und noch mehr Durchgriff des Staates auf Bürger und Unternehmen mittels Informations- und Kommunikationstechnologien.

Internationale Rolle Chinas

Viertens spielt China unter Xi eine zunehmend aktive internationale Rolle. Unter Deng hieß es: „China sollte auf keinen Fall die Führung übernehmen“ und „unauffällig bleiben und auf die richtige Zeit warten“. Xi verabschiedete in 2017 dieses Credo mit der Erläuterung, dass in den vorherigen fünf Jahren ein freundschaftliches äußeres Umfeld geschaffen wurde und dass China eine aktive Rolle als „Erbauer des Weltfriedens, als Beitragender zur Entwicklung der Weltordnung und als Beschützer der internationalen Ordnung“ übernehmen werde. Seitdem erleben wir ein aktiveres Teilnahme China mit einer lauteren Stimme auf dem internationalen Parkett. Das kommende Jahrzehnt wird zeigen, wie die globale Gemeinschaft und die anderen großen Akteure sich mit China arrangieren werden.

Das China der Zukunft

Xis „neue Ära“ hat für China und die Welt begonnen. Unternehmen, die mit China zu tun haben, sollten die Grundlagen der Ära Xi verstehen. Die Auswirkungen auf Konsumenten und Unternehmensaktivitäten wie Forschung und Entwicklung, Produktion und internationale Verflechtungen sind enorm. Das China des Jahres 2035 wird ganz anders aussehen als das China der 2000er und 2010er Jahre. Unternehmenslenker, die China während der Ära Deng kennengelernt haben, müssen eine gedankliche Transformation vollziehen, damit ihre Unternehmen auch in 2035 noch die gewünschte Rolle in China spielen können. Klare Vorstellungen über die eigenen Ziele und Rahmenbedingungen, Dialog zum gegenseitigen Verständnis und der Aufbau von persönlichem Vertrauen sind wichtiger denn je, um in dieser sich rapide verändernden Konstellation eine feste Basis beizubehalten.

Beiträge der Artikelserie von Lutz Berners, Berners Consulting:

  1. Einleitung: Ein wirtschaftliches Engagement in China ist immer auch politisch – egal in welcher Größenordnung

Lesen Sie im nächsten Teil: Schwerpunkt der chinesischen Wirtschaftsentwicklung: Vom „Reichtum zuerst für Einige“ zum „Ausgewogenen Wachstum“.

Lutz Berners
Lutz Berners
Managing Director at Berners Consulting Global

Lutz Berners gründete Berners Consulting im Jahr 2009 mit dem Ziel, europäische und chinesische Unternehmen bei internationalen Aktivitäten zu unterstützen. Seitdem berät er europäische und chinesische Auftraggeber zu Export-, Einkaufs-, Joint Venture- und M&A-Projekten. Besondere Schwerpunkte liegen auf strategischen Partnerschaften, insbesondere auch bei Kapitalbeteiligungen und bei nachhaltigen Lieferketten.

Aufgrund seiner Fach- und Sprachkenntnisse sowie seiner engen Vertrautheit mit der chinesischen Mentalität konnte er sich als einer der wenigen nicht-Chinesen eine Stellung als vertrauter Berater mehrerer hochkarätiger mittelständischer chinesischer Unternehmer erarbeiten. Zudem ist er regelmäßig als Berater zu Kooperationsprojekten mit China für deutsche Ministerien und Behörden auf Landes- und Bundesebene tätig. Herr Berners erlangte seinen Bachelor in Maschinenbau und Wirtschaft an der Yale University und seinen Master of Public Affairs an der Princeton University. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Chinesisch (Mandarin).