Chinas 15-Jahres-Technologieplan für die Innovationsführerschaft

China hat in kurzer Folge seinen neuen Fünf-Jahresplan sowie den 15-Jahres-Technologieplan verabschiedet. Beide zusammen können deutliche Fortschritte für die chinesische Wirtschaft mit sich bringen. So erwartet Stephen Li Jen, CEO und Co-CIO von Eurizon SLJ Capital Ltd, dass China sich in Zukunft stärker auf seinen Binnenmarkt fokussieren wird, den Umweltschutz stärker fördert und alles daransetzen wird, in den nächsten 15 Jahren den Aufstieg zum Technologieführer der Welt zu vollziehen.

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Manche Analysten rechnen damit, dass die chinesische Wirtschaft schon 2021 wieder um bis zu zehn Prozent wachsen könnte. Sind Sie ebenfalls dieser Meinung? Und was würde ein derartiges Wachstum für die Zinsen in China bedeuten?

Stephen Li Jen: Meiner Einschätzung nach wird das Wachstum in der Volksrepublik keine zehn Prozent erreichen. Die chinesische Führung plant auch nicht mit einem so hohen Wachstum. Ihre Politik ist vielmehr darauf ausgerichtet, gezielt Teile der Wirtschaft zu mäßigen. Dazu gehören beispielsweise der zum Überhitzen neigende Wohnungsmarkt oder die Infrastrukturinvestitionen der Lokalregierungen auf Provinzebene. Ich gehe daher davon aus, dass das Trendwachstum in China sich eher im Bereich um die fünf Prozent bewegen wird. In den kommenden Jahren könnte es sogar noch niedriger ausfallen.

Für den Fall, dass die Wirtschaft aber tatsächlich doch in diesem Maße wachsen sollte, würde das bedeuten, dass chinesischen Renditen weiter steigen dürften. Investoren müssen sich dann aber die Frage stellen, was nach dem Booomjahr 2021 geschieht. Denn bereits 2022 dürfte das Wachstum dann wieder schwächer ausfallen und auch die Renditen würden wieder sinken.

Welchen Einfluss hat die Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten auf die Entwicklung von Renminbi-Anleihen?

Stephen Li Jen: Um ganz ehrlich zu sein, ist das für mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar. Unter Biden könnte sich das Verhältnis zwischen den China und den USA wieder etwas verbessern, aber das Niveau der Vor-Trump-Ära wird es wohl nicht mehr erreichen. Dazu hat sich die Welt in den letzten vier Jahren zu sehr verändert. Auch China hat sich in dieser Zeit gewandelt. Die US-Maßnahmen während der Trump-Administration waren ja auch eine Reaktion auf die chinesische Entwicklung. So hob Jinping Xi nicht nur die Begrenzung der Amtszeit für Präsidenten auf, er forcierte auch Chinas erhöhte Aggression im Südchinesischen Meer. Diese und weitere Maßnahmen erforderten eine deutliche Reaktion der USA und das ist genau, was wir unter Präsident Trump gesehen haben.

Daraus könnte man aber auch zu dem Schluss kommen, dass ein Präsident Biden China gegenüber weniger auf Konfrontation gehen könnte. Das wiederum würde die institutionellen US-Anleger ermutigen, verstärkt in chinesische Anleihen zu investieren.

Ich befürchte allerdings, dass die Demokraten, die sich traditionell mehr um Menschenrechte und die Umwelt sorgen, empfindlicher auf Chinas Verhalten gegenüber Taiwan oder in Hongkong und der Uiguren-Region Xinjiang reagieren könnten. Das kann ich aber, offen gesagt, nur sehr schwer einschätzen. Auch steht die internationale Reaktion auf den 15-Jahres-Technologieplan noch aus.

Alles in allem gehe ich zurzeit davon aus, dass sich das Investitionsumfeld mit Blick auf Renminbi-Anleihen unter Joe Biden etwas, aber nicht besonders stark verbessern sollte.

Fast zeitgleich mit dem 15-Jahres-Technologieplan hat China das neue asiatischen Freihandelsabkommen RCEP unterschrieben. Welche Auswirkungen erwarten Sie sich davon auf die Wirtschaft Chinas, den Renminbi aber auch für Investoren aus dem nicht-asiatischen Ausland?

Stephen Li Jen: Ich denke, das das es sich beim RCEP mehr um einen symbolischen Schritt handelt. Daher erwarte ich nicht, dass es massive Fortschritte für den Freihandel in der Region bringt. Nicht zuletzt weil viele der vorgesehenen Zollsenkungen bereits Teil von Verhandlungen in den verschiedenen Ländern sind. Die Unterzeichnung dieses 15-Nationen-Freihandelsabkommens untermauert aber sicherlich diese bisher eher informellen Diskussionen.
Zudem möchte ich drei Punkte festhalten:

Der erste ist, dass die Globalisierung des Handels, wie wir sie in den letzten 20 Jahren gesehen haben, vorbei sein wird. Das gilt zumindest für ihre oft uneingeschränkte und daher unausgewogene Form. Sie wird meiner Einschätzung nach durch eine „Handelsregionalisierung“ ersetzt werden. Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel der EU. Hier hat Deutschland seine Industrie in viel stärkerem Maße nach Osteuropa als nach China ausgelagert. Die deutsche Produktion in China ist dort in erster Linie angesiedelt, um die lokale Nachfrage zu bedienen. Die Fabriken stellen kaum Waren für den europäischen Markt her. Sie könnten daher auch stärker vom 15-Jahres-Technologieplan betroffen sein.


Die US-Unternehmen in China sind anders aufgestellt, als die deutschen.

Die US-Unternehmen in China sind wiederum völlig anders aufgestellt. Sie haben ihre Produktion nach China ausgelagert, um dann wieder in die USA zu importieren. Hierin liegt auch der Grund, warum der Handel mit China in den USA zu einem derart bedeutenden sozialen und wirtschaftlichen Thema werden konnte, während das in Europa kaum der Fall ist. Mit ihrem Rückzug von der „Trade Globalisation 1.0“ werden die USA voraussichtlich wieder mehr Produktion nach Nordamerika zurückholen. Davon könnte dann vor allem Mexiko profitieren. Das resultierende System ist es, was ich mit dem Begriff „Handelsregionalisierung“ beschreibe.

Der zweite Punkt ist, dass China sich nicht in die Isolation treiben lassen wird, wie es der ehemaligen UdSSR widerfahren ist. Vielmehr erwarte ich, dass die Volksrepublik zwar ihren politischen Schwerpunkt auf den „internen Kreislauf“ legen wird, das aber ohne den Exportsektor aufzugeben. Anders gesagt, wird China zukünftig mehr Ressourcen für die Stärkung seines Binnenmarkts aufwenden, diese aber nicht aus dem externen Sektor abziehen. Als Folge gehe ich davon aus, dass die anderen asiatischen Länder in Zukunft noch stärker in das chinesische Ökosystem integriert werden. Das wird es diesen Ländern nahezu unmöglich machen, sich von China abzukoppeln. Dabei spielt es auch keine Rolle, was die USA sagen.

Als Drittes erwarte ich, dass China seine Zölle senken wird. Heute ist China die protektionistischste unter den großen Volkswirtschaften der Welt, aber Dank des steigenden Wohlstands hat die Regierung mehr Vertrauen in die Öffnung der Wirtschaft gewonnen. Wenn die Volksrepublik jetzt ihre, im Vergleich zu den Zöllen der Handelspartner nach wie vor hohen Importzölle, senkt, ist das sehr positiv für die Welt!


Zur Person
Stephen Li Jen, Eurizon
Stephen Li Jen,
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Stephen Li Jen ist CEO und Co-CIO von Eurizon SLJ Capital Ltd, vormals SLJ Macro Partners LLP, und Manager des rund zwei Milliarden Euro schweren Eurizon Fund – Bond Aggregate RMB. Vor seiner Zeit bei Eurizon war er vier Jahre als Ökonom beim IWF tätig und beschäftigte sich mit Volkswirtschaften in Osteuropa und Asien. Stephen Li Jen hat am Massachusetts Institute of Technology in Wirtschaftswissenschaften promoviert und an der University of California in Irvine (Summa Cum Laude) einen Bachelor-Abschluss in Elektrotechnik erworben.