Der chinesische Anleihenmarkt bleibt ein sicherer Hafen

Die aktuell größte Sorge am Markt ist, wie sich diese Spannungen auf den Renminbi auswirken werden. Was denken, Sie welches Szenario jetzt am wahrscheinlichsten ist?

Das hängt davon ab, ob die Spannungen Maßnahmen auslösen werden, die der chinesischen Wirtschaft echten Schaden zufügen. Würde beispielsweise das Phase-1-Handelsabkommen scheitern, käme der Renminbi mit Sicherheit noch stärker unter Druck. Wenn die Spannungen aber das Niveau der Informationstechnologie oder der Hongkong-Frage nicht übersteigen, wird das die chinesische Wirtschaft nicht negativ beeinflussen. In dem Fall rechnen wir dann auch nicht mit einer Abwertung der chinesischen Landeswährung. Parallel sehen wir auch zahlreiche Faktoren, die den Renminbi positiv unterstützen. Dazu zählt beispielsweise die bereits angesprochene schnelle und dynamische Erholung der chinesischen Wirtschaft. Außerdem ist der Spread zwischen Anleihen aus den USA und der Volksrepublik in den letzten Monaten sehr viel größer geworden. Das hat den Carry noch attraktiver gemacht hat.

Darüber hinaus sehen wir tatsächlich trotz der neuerlichen Spannungen stetige Zuflüsse aus dem Ausland in den chinesischen Anleihenmarkt, die den Renminbi kräftig unterstützen. Hinzu kommen die Maßnahmen zur Öffnung und Reformierung des Finanzsektors, deren positiver Einfluss auf die chinesische Landeswährung nicht unterschätzt werden sollte.

Wie hat sich die erste Erholungswelle bisher am chinesischen Anleihenmarkt bemerkbar gemacht?

Die Menschen in China sind an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt, als die Zahl der neuen COVID-19-Patienten den Krankenhäusern auf annähernd null gesunken ist. In Europa hat man stattdessen mit der Öffnung gewartet, bis die Zahl der Neuinfektionen unter ein bestimmtes Niveau gefallen war. Das ist eigentlich die zweite Ableitung der Veränderung der Corona-Pandemie. Im Ergebnis verlief die Erholung in China unerwartet schnell und dynamisch, was den Anleihenmarkt vor allem im Mai belastet hat. Hinzu kamen die beinahe rekordhohe Emissionen vor allem von Anleihen der Lokalregierungen im Mai und zusätzlich eine speziellen Anleihe der Pekinger Zentralregierung im Juli. Dieses Angebot dürfte auch über Teile des dritten Quartals weiterhin vergleichsweise hoch bleiben und sich auf den Anleihenmarkt auswirken.

Verstärkend kam hinzu, dass die People’s Bank of China (PBoC) zu einem Zeitpunkt aus den unkonventionellen Lockerungsmaßnahmen ausgestiegen ist, als der Markt es noch nicht erwartet hatte.
Als dritter Faktor kam für Euro-Investoren auch von der Währungsseite Druck, da die Gemeinschaftswährung angesichts der unerwartet umfangreichen Stützungsmaßnahmen, die von der Europäischen Zentralbank und der deutschen Bundesregierung eingeleitet wurden, kräftig im Vergleich zum Dollar gestiegen war.

Wird die PBoC zu quantitativen Lockerungen übergehen und dann das große Angebot aufkaufen, das danach auf den Markt kommt?

Ich denke nicht, dass wir unmittelbar mit quantitativen Lockerungen rechnen müssen. Die PBoC und das Finanzministerium sind für chinesische Verhältnisse vergleichsweise unabhängig. Sie versucht bislang noch eine „normale“ Geldpolitik zu betreiben. Es gab zwar im Vorfeld des Nationalen Volkskongresses heftige Diskussionen, ob die PBoC nicht die Anleihen zur Finanzierung des Konjunkturpakets direkt aufkaufen sollte, das Ergebnis war aber schließlich ein klares „Nein“. Hinzu kommt die veränderte Rolle der PBoC: Vergleicht man sie mit der des Jahres 2009 hat die Notenbank heute ein duales Mandat. Sie soll einerseits das Wachstum vorantreiben, dabei aber nicht die Finanzstabilität vergessen. Dazu gehört auch die Kontrolle der Verschuldung sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene und ebenso die Kontrolle einer potentiellen Blasenbildung im Immobiliensektor.

Hat der Status des chinesischen Anleihenmarkts als „sicherer Hafen“ grundsätzlich Schaden durch die Krise genommen?

Die Parameter haben sich nicht verändert und der chinesische Anleihenmarkt bleibt weiterhin ein „sicherer Hafen. Auch wenn der Risikoappetit der chinesischen Anleger angesichts der Krise zurückgeht, bleibt ihnen angesichts der bestehenden Restriktionen weiterhin nur ihr heimischer Anleihenmarkt als „sicherer Hafen“. Das deckt sich auch mit der Historie: Die Asset-Klasse hat während aller Krisen seit 2007 so funktioniert. Damit gleicht sie überraschenderweise den US-Staatsanleihen oder Gold. Das hat sich aufs Neue bestätigt als die COVID-19-Pandemie im Frühjahr an den Kapitalmärkten für historischen Stress gesorgt hat. Besonders deutlich war das während der Liquiditätskrise im März zu beobachten. Wir haben keinen Grund davon auszugehen, dass diese Eigenschaft verlorengehen wird.

Ein anderer Aspekt ist ebenfalls wichtig: Im Mai waren zwar Zuflüsse von ausländischen Investoren in Rekordhöhe zu verzeichnen, trotzdem ist der Anteil chinesischer Anleihen in ausländischen Händen immer noch sehr niedrig. Wenn man die ausstehenden Renminbi-Anleihen insgesamt betrachtet, sind es lediglich 2,6 Prozent. Auch bei den Staatsanleihen liegt der Anteil bei nur acht Prozent. Ein sehr geringer Wert im Vergleich zu den zwölf Prozent der japanischen und 33 Prozent der US-Staatsanleihen, die sich in ausländischer Hand befinden. Für die kommenden Jahre gehen wir davon aus, dass sich der Anteil exponentiell auf 10 bis 15 Prozent aller ausstehenden Renminbi-Anleihen erhöht. Mittelfristig kann das einen Zufluss von zwei Billionen Dollar in den chinesischen Anleihenmarkt bedeuten, was diesen entsprechend treiben sollte.

Aber demzufolge haben sich auch US-Anleihen abermals als „sicherer Hafen“ erwiesen…

Das ist richtig. Hinsichtlich ihres Risikocharakters sind sich der chinesische und der US-Anleihenmarkt sehr ähnlich. Gerade in Phasen sinkender Risikoneigung halten sich beide Märkte sehr gut. Noch vor 2016 waren die US-Anleihen die Asset-Klasse, die am stärksten mit chinesischen Anleihen korrelierte. Da der Renminbi jetzt aber nicht mehr an den Dollar, sondern einen Währungskorb gekoppelt ist, bieten chinesische Schuldtitel mittlerweile einen guten Diversifikator zu US-Anleihen.
Wir sind daher der Ansicht, dass sich so das Risikoprofil eines global investierenden Anleihenportfolios verbessern lässt.


ZUR PERSON

Porträt Monica WangMonica Wang ist Senior Portfolio Manager bei Eurizon SLJ Capital, der auf makroökonomische Analysen und quantitative Strategien spezialisierten Boutique von Eurizon. Sie ist mitverantwortlich für den Eurizon Fund – Bond Aggregate RMB, mit einem verwalteten Vermögen von rund 1,2 Milliarden Euro einer der größten in Euro denominierten Renminbi-Anleihenfonds in Europa.