Der chinesische Anleihenmarkt bleibt ein sicherer Hafen

Der chinesische Anleihenmarkt bleibt ein sicherer Hafen
Quelle: Adobe Stock; © iQoncept

Die schnelle und dynamische Erholung der chinesischen Wirtschaft, eine rege Emissionstätigkeit und der überraschend starke Euro haben bei Renminbi-Bonds zuletzt für bisher ungewohnte Turbulenzen gesorgt. Doch damit habe der chinesische Anleihenmarkt keinesfalls seinen bisherigen Status als „sicherer Hafen“ verloren, erklärt Monica Wang, Senior Portfolio Manager bei Eurizon SLJ Capital, im Interview.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in China ein?

Monica Wang: Glücklicherweise sind die Zahlen zu Neuinfektionen, Erkrankungen insgesamt und zur Sterblichkeitsrate derzeit extrem niedrig. Das bietet der Volksrepublik die große Chance, dass sich ihre Wirtschaft noch vor denen anderer Staaten erholt. Zurzeit dürfte die Wirtschaftsaktivität in den meisten Sektoren wieder bei 85 bis 90 Prozent des Vorjahresniveaus liegen. Ausgangspunkt für die Erholungsbewegung war das verarbeitende Gewerbe. Hinzu kam in einer zweiten Phase der Dienstleistungssektor, für den es besonders im Mai kräftig nach oben ging. Grund ist, dass ein Großteil der Quarantäne-Beschränkungen gelockert worden war. Die Menschen begannen wieder, zu reisen oder Restaurants zu besuchen. Dass wieder Geld ausgegeben wurde, hat diese Erholung sicherlich massiv unterstützt.

Wie sehen Sie die Chancen für die ursprünglich erhoffte v-förmige Erholung?

Der Verlauf der erwarteten Erholung ist schon mit vielen Buchstaben beschrieben worden. Als das Virus noch auf China begrenzt war, sprach man zunächst von einer v-förmigen Erholung. Ein starker Einbruch gefolgt von einer unmittelbaren und ebenso starken Erholung.
Dann folgte aber die Ausbreitung von COVID-19 auf Europa und die USA. Jetzt schien eine eher w-förmige Entwicklung plausibler. Besonders befürchtet wurde dabei eine mögliche zweite Infektionswelle durch nach China einreisende Menschen. Da die Regierung aber so ziemlich alle Einreisenden für 14 bis 21 Tage in von ihr beaufsichtigten Hotels unter Quarantäne gestellt hat, halte ich die Gefahr einer zweiten Welle derzeit für sehr, sehr gering. Deshalb erscheint uns das v-förmige Szenario weiterhin als am wahrscheinlichsten.

Wie bewerten Sie das Konjunkturprogramm der chinesischen Regierung?

Die Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Bewältigung der COVID-19-Krise haben einen Umfang von etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist deutlich weniger als das Volumen der Maßnahmen in der großen Finanzkrise 2009. Die beschlossenen Pakete sind zwar sicher hilfreich, reichen aber wohl nur zu einer v-förmigen Erholung. Für einen Anstieg der Wirtschaftsaktivität über das Vorkrisenniveau hinaus genügen sie nicht.

Was muss die chinesische Regierung jetzt tun, um die Erholung zu sichern?

Sie muss sich noch stärker auf die Ankurbelung des privaten Konsums konzentrieren. In dieser Hinsicht hat sie aber bereits viele sinnvolle Maßnahmen ergriffen, die Chinas Wirtschaft seit dem zweiten Quartal stützen. Beispielsweise wurden Gutscheine für private Einkäufe in Supermärkten verteilt. Hinzu kommen von der Regierung organisierte Festivals in Großstädten wie Schanghai. Sie habe den Menschen ermöglicht, wieder das Nachtleben zu genießen. Restaurants und Supermärkte durften 24 Stunden lang öffnen. Sogar die Straßenläden, die in den vergangenen Jahrzehnten wegen der Störung des Straßenbilds und zugunsten des stationären Einzelhandels mehr oder weniger verboten worden waren, sind unter dem Druck der steigenden Arbeitslosenzahlen wieder zugelassen worden.

Welche Risiken sehen sie jetzt für die weitere Erholung über Vorkrisenniveau hinaus?

Nach einer Erholung der Wirtschaft auf das Vorkrisenniveau stehen aus meiner Sicht eine Reihe von Fragezeichen hinter einem weiteren Anstieg der ökonomischen Aktivität. Erstens kommt es auf die Entwicklung des Exports an, wobei die entsprechenden Daten zuletzt besser waren als befürchtet. Unter anderem die steigende Ausfuhr medizinischer Güter hat sich positiv ausgewirkt. Für die Zukunft ist aber weiterhin fraglich, ob sich die in Übersee beschlossenen Lockdown-Maßnahmen und die resultierende Wirtschaftsschwäche nicht doch stärker auf den chinesischen Exportsektor auswirken werden.

Die zweite Unsicherheit ist die Entwicklung der Immobilienwirtschaft im dritten und vierten Quartal. Sie ist einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche in China. Es stellt sich die Frage, ob die bisherige Erholung nur die Auflösung des Nachfragestaus aus den Monaten Februar oder März widerspiegelt, oder ob wir es sich tatsächlich um den Beginn einer nachhaltigen Entwicklung handelt. Weiterhin stehen auch Fragezeichen hinter der chinesischen Binnennachfrage. Sie könnte nach der ersten Erholungswelle möglicherweise nicht besonders hoch ausfallen.

Welche Auswirkungen werden die steigenden Spannungen zwischen den USA und China haben?

Wir beobachten weltweit, dass die von COVID-19 verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen zu politischen Spannungen werden. Gleichzeitig lässt sich der interne Stress in dieser Situation auch leicht in externe Konflikte umwandeln. Hinzu kommt das neue „Sicherheitsgesetz“ für Hongkong, dessen Einführung die bisherigen Spannungen von einem Interessenskonflikt um Informationstechnologie jetzt auf das Niveau einer politischen Auseinandersetzung verschärft hat. Für China ist diese Eskalation ungünstig. Daher hat Peking seinen Willen bekräftigt, ein Phase-1-Handelsabkommen zu erzielen. Zusätzlich hat die Regierung die größte Insel Chinas, Hainan, zu einer Freihandelszone ernannt. Damit verbindet sie die Hoffnung, dass dort dank der steigenden Wettbewerbsfähigkeit in den kommenden zehn oder zwanzig Jahren eine Art neues Hongkong innerhalb der Volksrepublik entstehen wird.