Allein diese Zahlen beeindrucken und versprechen gigantisches Wachstum: 1,4 Milliarden Menschen und potenzielle Konsumenten. Rund 500 Millionen davon sind gut und meist auch international ausgebildet. 900 Millionen Menschen nutzen aktiv das Internet und stehen neuen Informationstechnologien offen gegenüber. Nichts wie hin nach China? „Die meisten Unternehmen haben in China wirklich gute Chancen“, macht Clare Wimmer, selbst Chinesin, China Ecosystem Lead bei German Entrepreneurship, Mut. „Sie sollten aber bewusst entscheiden, ob und wie sie nach China expandieren.“
Die Chancen sind groß, Vorurteile und Risiken ebenso: Die einen sehen die Perspektiven des größten Marktes der Welt und der zweitgrößten Volkswirtschaft, die für ein Bruttoinlandsprodukt von rund 15 Billionen US-Dollar steht und die bis 2028 die USA vom Spitzenplatz verdrängen soll. Für andere wiederum ist China ein undemokratisches System, in dem der Markenschutz nicht ernst genug verfolgt wird.
Wissen zu China sammeln und die passenden Partnerschaften
Euphorie ist jedoch ebenso wenig angebracht wie pure Skepsis. Informationen und eine gründliche Vorbereitung erleichtern die Überlegung: „An China führt kein Weg vorbei“, ist sich Wimmer sicher. „Jedes Unternehmen wird irgendwann nach China gehen, die Frage ist aber, ob sie den Markt und die Kultur dort verstehen.“ Innerhalb des vom Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz finanzierten Förder- Programms German Accelerator versorgt German Entrepreneurship Unternehmen und Gründer mit Wissen rund um China und seine Besonderheiten: Beginnend mit dem Workshop „China Essentials“, der Ende Juni wieder beginnt und mit einem Market Discovery Programm vertieft werden kann, werden Startups und kleineren Unternehmen neben Marktdaten auch tiefe Einsichten in die Kultur vermittelt sowie Kontakte zu potenziellen Partnern und Unternehmen hergestellt, die bereits erfolgreich in China wirtschaften. Auch die Auslandshandelskammern (AHK) unterstützen Unternehmen und Startups bei ihrem Markteintritt in China und bieten ihnen unter anderem erste Büroräume in China für den Start.
Regeln und Auflagen für Angebote in China verstehen
„China ist kein freier Markt, Politik und Regierung geben immer einen Rahmen vor“, stellt Wimmer klar. „Ein Ausbrechen ist unmöglich, Unternehmen können diesen Rahmen aber für sich nutzen und ausfüllen.“ China gilt als äußerst bürokratisch, Unternehmen beklagen die Intransparenz der Entscheidungen, in einigen Sektoren ist ein Engagement von Ausländern nicht erwünscht. Außerdem können sich Marktbedingungen und Gesetze sehr schnell ändern. Wer sich aber die Mühe macht, Regeln und Auflagen für Angebote in China zu verstehen, kann leichter eigene Strategien für Vertrieb und Werbung entwickeln und diese an Veränderungen anpassen. Das funktioniert am besten mit muttersprachlichen Partnern und Mitarbeitenden, auch Kontakte zu Unternehmen, die bereits Services und Produkte vor Ort vertreiben, helfen dabei, die wirtschaftlich-politische Lage und die eigenen Chancen besser zu durchschauen.
Eigene Stärken innerhalb politisch vorgegebener Grenzen
China ist sicher kein homogener Markt, kann es auch gar nicht sein: Die Fläche des Landes ist im Vergleich 27 mal so groß wie Deutschland. Die Konsumvorlieben unterscheiden sich zwischen den gigantischen Millionenstädten und eher ländlichen Regionen, außerdem zwischen dem Norden, Osten und Süd-Südwesten Chinas mit den jeweiligen klimatischen und kulturellen Eigenheiten. Offenheit für das Fremde, Andere, vor allem aber Anpassung bringen in China deutlich schneller weiter als das bei uns gepflegte Konkurrenzdenken oder Lautstärke. Erfolgreich sind jene Anbieter auf dem hochkompetitiven Markt China, die eigene Stärken unterstreichen und sich innerhalb der politisch vorgegebenen Grenzen eindeutig positionieren. Und die sich außerdem umfassend über ihre chinesischen Verhandlungs- und Geschäftspartner informieren – diese tun das umgekehrt nämlich sehr gründlich und erwarten ein ähnlich hohes Interesse.
Besserer Schutz für Marken und Patente
Dabei können gerade deutsche Unternehmen auf Vorschusslorbeeren aufbauen: „Made in Germany“ hat für Chinesen einen attraktiven Klang, gilt als vertrauenswürdig, zuverlässig und von guter Qualität. Das zeigen Verkaufserfolge von Automarken wie BMW, Volkswagen und Mercedes, aber auch von Windeln.de, dm und anderen Drogerieketten, die ihre Waren seit den Skandalen um verunreinigte Babynahrung 2008 gerade auch in China sehr gut absetzen können. „China wirbt um Unternehmen aus dem Ausland und tut Vieles, um Korruption oder Bestechung zu unterbinden“, beobachtet China Ecosystem Lead Wimmer außerdem. Handelsmarken werden zwischenzeitlich ebenfalls besser geschützt und deren Patente respektiert. Die Verletzung geistigen Eigentums wurde in den vergangenen Jahren für Produktpiraten und Kopieren immer teurer, auch weil inzwischen chinesische Firmen davon profitieren.
Alibaba und Tencent
China ist digital, die Verbraucher legen ihr Smartphone gar nicht mehr aus der Hand. Finanzen, Einkauf, Unterhaltung, Kommunikation oder Mobilität – nichts geht mehr ohne Internet. Und doch gibt es einen großen Unterschied zum Westen: Chinas abgegrenztes Netz und die rund 900 Millionen Nutzer, die sich hier tummeln, teilen sich vor allem zwei Konzerne untereinander auf: Alibaba und Tencent. Beide Giganten bieten vielfältige Dienste für Freizeit und Alltag. WeChat, ein Dienst von Tencent, ist die größte Plattform für Unterhaltung und Kommunikation. Wer sich hier nicht präsentiert, findet keine Käufer. Alibaba wiederum bietet ein größeres Ecommerce-Angebot mit Marktplatz und praktische Bezahlmöglichkeiten. Die eigene Website hat indes keine Relevanz: „In China hat man keine eigene App, man ist Teil eines großen Ganzen, von Tencent oder Alibaba oder gleich von beiden“, sagt Wimmer. „Wie können Sie auf deren Dienste zugreifen – das ist die große Frage.“ Mitmachen, schauen, ausprobieren ist daher eine erste Maßnahme für die Ansprache neuer Kunden in China, aus der eine clevere Online-Strategie für diese Kanäle wachsen muss.
Chinesen leben, arbeiten und studieren heute überall
Etwa ein Drittel der Chinesen sind gut ausgebildet, haben meist sogar ein paar Semester in Europa oder USA studiert oder verbringen längere Zeit im Ausland. Das ist ein Ausgangspunkt für eine steile Karriere in China. Für Clare Wimmer stellen diese Kosmopoliten eine hoch interessante Zielgruppe oder einen nicht zu unterschätzenden Testmarkt, außerdem ein beachtliches Reservoir an potenziellen Partnern oder gar Mitarbeitenden dar: „Bieten Sie Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung einfach nur auf Chinesisch an, um zunächst die Chinesen im Ausland zu erreichen“, empfiehlt die Beraterin. „Danach können sie die Erfahrungen mit diesen Kunden nutzen und den nächsten Schritt auf lokalen Märkten gehen.“ Für die Testverkäufe lassen sich überall in Europa und den USA Mitarbeitende finden, für die Chinesisch Muttersprache ist und die sich mit den Eigenarten ihrer Landleute auskennen. Die erste Ansprache würde sogar auf uns gewohnten Kanälen funktionieren, noch besser aber auf WeChat oder Alibaba, die von Chinesen auf Reisen weiterhin genutzt werden.
Mit zunehmender Bildung wächst Chinas Mittelklasse schnell weiter. Diese Menschen kaufen gerne ein und bezahlen für unterschiedlichste Services. Dabei genießen Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland ein besonderes Ansehen. Unternehmen, Startups und Marken aus Deutschland können darauf bauen. „Freiheit bedeutet in China und im Westen nicht dasselbe“, gibt Clare Wimmer zu bedenken, und: „Bleiben Sie offen für den Unterschied.“
Till Ammelburg
Till has long been dedicated to building bridges between China and “the West”. For five years, Till has been supporting European tech startups to identify their touchpoints with China and assists them to master the challenges that "going East" involves. Since May 2022, Till is acting as the Program Director for the China internationalization program of German Accelerator. Moreover, at the Technische Universität Berlin, Till facilitates exchange programs for STEM students between China and Germany. He also acts there as a lecturer on China related topics such as AI, Mobility and Industry 4.0.. He holds an MA in China Studies, speaks fluent Chinese, and spent more than 4 years in China studying, researching, and working as a consultant for German SMEs.