Ein Virus geht um die Welt

Die weltweite Verbreitung von nCoV-2019 scheint kaum mehr aufzuhalten zu sein. Für die Weltwirtschaft zeichnen sich mehr und mehr hohe Kosten ab. Und nicht nur Schlüsselindustrien wie Automobil, Touristik oder Luftverkehr sind davon betroffen.

Beispiellose Maßnahmen

Vor allem aber ist die Reaktion der chinesischen Behörden auf die Epidemie eine völlig andere. Das Epizentrum des Ausbruchs, die Stadt Wuhan, und vier weitere Millionenstädte in der Provinz Hubei sind unter vollständige Quarantäne gestellt, fast alle Ortschaften sind abgeriegelt. In vielen Provinzen bestehen einschränkende Reiseregeln, oftmals ist der Übertritt in eine andere komplett untersagt. Die Ferien zum Frühlingsfest wurden für Unternehmen um wenigstens eine Woche verlängert. Für Unternehmen, aber auch für Siedlungen bestehen zahlreiche Überwachungs- und Dokumentationspflichten, wie z.B. Temperaturmessungen der Angestellten und Einwohner sowie scharfe Eingangskontrollen. Dazu kommen zahlreiche weitere Maßnahmen und Vorgaben auf regionaler Ebene.

„Die Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Eindämmung der Infektionen mit dem neuartigen Corona-virus sind ohne Beispiel“, konstatiert denn auch Thomas Weidlich von der Anwaltskanzlei Luther. „Der von Präsident Xi ausgerufene ‚Volkskrieg‘ gegen den Virus hat zu einem teilweisen Stillstand der Wirtschaft geführt.“ VW beispielsweise musste in den gemeinsam mit FAW betriebenen Werken die Produktion einstellen, BMW stoppte die Produktion in seinen Werken in Shenyang bis zum 17. Februar.

Tatsächlich sind die Unternehmen mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert. Der Zwangsurlaub führte notwendigerweise zu einer Unterbrechung der Produktion und damit auch zu Lieferausfällen. Das Bundesgesundheitsministerium warnt beispielsweise bereits vor Engpässen bei gewissen Arzneimitteln und Antibiotika. Selbst nun, da die Arbeit nach und nach wieder aufgenommen wird, ist man von einem normalen Betrieb weit entfernt. Es fehlt an Komponenten – sei es aufgrund von Produktionsausfällen oder aufgrund von logistischen Schwierigkeiten, die beispielsweise durch Quarantänemaßnahmen hervorgerufen werden.

Aber es mangelt auch an Arbeitskräften: Viele Arbeiter sind aufgrund der Reisebeschränkungen nicht in der Lage, in ihre Fabriken zurückzukehren. Gerade eine regierungsunmittelbare Stadt wie Shanghai trifft dies besonders, da viele hier Arbeitende in den angrenzenden Provinzen Jiangsu und Zhejiang leben und in die Metropole pendeln.

Deutlich eingeschränkte Wirtschaftsaktivitäten

Wie stark die Einschränkungen tatsächlich sind, lässt sich nur mutmaßen bzw. auf indirektem Weg analysieren. Laut der Investmentbank Morgan Stanley etwa beträgt die Luftverschmutzung in den wichtigsten chinesischen Großstädten wie Shanghai, Guangzhou oder Chengdu aktuell nur 20% bis 50% der jährlichen Durchschnitts, woraus die Investmentbanker folgern, dass in diesen Städten das Produktionsniveau zwischen 50% und 80%(!) unterhalb der tatsächlichen Kapazitäten liegt. Einen weiteren Hinweis auf deutlich eingeschränkte Wirtschaftsaktivitäten gibt der Kohlekonsum. Kohle ist nach wie vor Chinas Energieträger Nummer eins. Während des Neujahrsfests sinkt der Konsum deutlich ab, doch im Anschluss steigt er recht schnell wieder auf normale Niveaus.

Nicht so in diesem Jahr: Hier verläuft die Kurve auch noch 15 Tage nach dem Fest flach. Auch die Rohstoffpreise geben ein Indiz für verringerte Wirtschaftsaktivitäten: Die Preise für Kupfer, Zink und Blei sind seit Mitte Januar 2020 deutlich gefallen. Die Internationale Energiebehörde (IEA) erwartet aufgrund der Epidemie einen deut-lichen Rückgang der weltweiten Ölnachfrage. Sie reduzierte ihre Prognose für das Gesamtjahr auf einen Bedarf von 825.000 bpd (Barrel am Tag), also auf 365.000 bpd weniger als ursprünglich angenommen.

Massive Einschränkungen
AXEL D. ANGERMANN Chefvolkswirt Feri Gruppe

Die Verbreitung des Corona-Virus bremst die wirtschaftliche Dynamik, dennoch sollte sich der negative Effekt insgesamt in Grenzen halten.

Die Zwangsferien, Quarantänemaßnahmen und die Kontrollen schränken aber nicht nur die Produktion ein. Schulen (und Kindergärten) bleiben bis Mitte März, mancherorts sogar bis in den April hinein geschlossen. Was dies für jene Schüler bedeutet, die dieses Jahr ihr Gao Kao (vergleichbar mit dem deutschen Abitur) ablegen müssen, kann man sich denken – auch wenn der Unterricht teilweise zumindest online fortgesetzt wird. Insgesamt ist für die Bevölkerung das Alltagsleben massiv eingeschränkt. Gleichzeitig finden die Regierungsmaßnahmen in der Bevölkerung eine breite Zustimmung. Noch sind die meisten Bürger aus finanzieller Perspektive davon auch nicht betroffen – zumindest, solange sie angestellt sind, da hier der Arbeitgeber im ersten Monat der Betriebsschließung das volle Gehalt weiterzahlen muss.

In erster Linie sind also Unternehmen und Selbstständige betroffen. Da auch die Banken in den Zwangsurlaub geschickt wurden bzw. nur noch sehr verkürzte Arbeitszeiten haben, können viele Überweisungen – insbesondere ins Ausland – derzeit nicht getätigt werden. In der Folge dürften gerade kleinere in- wie ausländische Unternehmen mit Liquiditätsengpässen konfrontiert sein, wenn der chinesische Kunde die vor dem Frühlingsfest gelieferte Ware nicht bezahlen kann. Ab einem gewissen Zeitpunkt werden diese Zulieferer die Lieferungen einstellen und damit die Produktion weiter belasten.