Beobachtungen zum Automobilmarkt in China

Kulturelle Besonderheiten berücksichtigen

Die gleichen Probleme wie bei der Interpretation von Forschungsvorschlägen und Zielgruppen treten auch bei der Fragebogengestaltung und -analyse auf. In der Marktforschung geht es um hypothesenbestätigende und -explorative Fragestellungen und viel weniger darum, etwas zu deklarieren. Wenn man sich vom Deklarativen zum Explorativen bewegt, nimmt Wissen tendenziell ab. Gleichzeitig nimmt aber die Komplexität der zu berücksichtigenden Informationen und Aspekte tendenziell zu. Weist die Zielgruppe nur wenige Gemeinsamkeiten auf, nimmt das Wissen noch mehr ab.
Stellen wir uns einen konkreten Fall vor, der sich häufig in der Marktforschung abspielt: Sie möchten in China eine Clusteranalyse über die Lebensgewohnheiten der Befragten durchführen. Ihr Ziel ist es, zu verstehen, wie das Profil der potenziellen Kunden in der Zukunft aussehen wird. Wenn Sie nicht die gesellschaftlichen Gepflogenheiten kennen, würden Sie wohl kaum in einen Fragebogen Folgendes einbauen: „Karaoke singen“. In China ist das aber eine der häufigsten Freizeitaktivitäten.

Um auf Basis einer Clusteranalyse eine Persona zu entwickeln, ist es ratsam, nicht nur auf die nackten Zahlen zu schauen. Das bedeutet, dass Sie auf der operativen Ebene, insbesondere beim Fragebogendesign und der -analyse im Team arbeiten sollten. Dabei müssen Sie sich auf lokale Experten und ihre Meinungen stützen können, um die Hypothese zu vervollständigen und die Ergebnisse hinter den Zahlen interpretieren zu können.

Schließlich geht es um die Entscheidung, inwieweit die chinesische Niederlassung in die Überlegungen mit einbezogen werden soll. Die Mitarbeiter vor Ort könnten beispielsweise bei der Festlegung des Zielgruppenumfangs, beim Korrekturlesen der Übersetzung und bei der Diskussion der Studienergebnisse unterstützen. Das ist jedoch nur dann von Vorteil, wenn der Zeitrahmen des Projekts es zulässt und die Kommunikation untereinander barrierefrei ist. Leider erleben wir in der Praxis oft das Gegenteil.

Marktforschung im Automobilmarkt China unter Pandemie-Bedingungen

Zu Beginn der Covid-Pandemie war es klar, dass qualitative Face-2-Face-Studien kaum noch machbar sein werden. Reisen waren nicht mehr möglich, sodass der Austausch mit den Teams vor Ort in China schwieriger wurde. Schon nach kurzer Zeit haben sich aber Remote IDIs (In-depth Interviews) und GDs (Gruppendiskussionen) etabliert. Diese Alternativen funktionieren tatsächlich sehr gut und werden auch in Zukunft Teil des Marktforschungs-Repertoires sein. Sie erlauben es Marktforschern, Kunden und Zielgruppen kosten- und zeiteffizienter zu erreichen als je zuvor.

Mittlerweile gehört China ohnehin nicht mehr zu den Hochrisikoregionen und ist auf dem Weg, seine Geschäftsaktivitäten wieder zu normalisieren. Somit können Marktforscher auch wieder qualitative Vor-Ort-Studien zu starten. In China können dann beispielsweise sogenannte Car Clinics für Umfragen zum Automobilmarkt stattfinden. Dabei werden Testpersonen verschiedene Fahrzeugmodelle in einem Studio oder auf einer Teststrecke präsentiert, um zu sehen, wie das neue Angebot im Vergleich zum Wettbewerb wahrgenommen wird. Diese Vor-Ort-Maßnahmen werden zukünftig in flexiblere und hybride Ansätze integriert werden.

Ein agiler Forschungsansatz, der sich während der Pandemie bewährt hat, waren Community-basierte Zielgruppen. Für eine Community-basierte Zielgruppe wird eine Pop-up-Community der realen Kunden aufgebaut. In dieser Gruppe kann man dann regelmäßig Forschungsaktivitäten durchführen, um agile und relevante Erkenntnisse zu gewinnen. Dieses Werkzeuge ermöglicht, die richtige und manchmal seltene Zielgruppe für qualitative und quantitative Studien ohne Zeitverzögerung zu finden. In der Premium-Automobilbranche, die besonders im Automobilmarkt China eine herausragende Rolle spielt, ist es oft sehr zeit- und kostenintensiv, solche Gruppen zu rekrutieren. Unter Pandemie-Bedingungen wie im letzten Jahr ist es sogar noch ungleich schwieriger. Beim Community-Konzept hingegen nehmen die Teilnehmer aus Eigenmotivation und Interesse an den Studien teil. Ein Ansatz, der sich in China bewährt hat und „unterm Strich“ eine höhere Qualität der Studienergebnisse ermöglichte.

Ruochen Li

Ruochen Li ist seit 2020 als Project Managerin bei Skopos Research tätig. Die gebürtige Chinesin hat einen Master of Science in Management an der HHL Leipzig Graduate School of Management und an der NUCB Business School in Nagoya (Japan) erlangt. Davor machte sie ihren Bachelor in Administration an der Northeastern University in Qinhuangdao (China).