Dass der Automobilmarkt in China für viele deutsche Hersteller von entscheidender Bedeutung ist, zeigen ihre aktuellen Geschäftsberichte. Welche Veränderungen hat das in den letzten fünf Jahren bewirkt und auf welche Herausforderungen stoßen deutsche Anbieter typischerweise?
Besonders deutlich zeigt sich die Bedeutung, die der Automobilmarkt in China für deutsche Hersteller wie VW und Mercedes hat, im Bereich der Marktforschung. Natürlich war der Bedarf, Marktforschung in China zu betreiben, schon immer da, vor fünf Jahren und auch heute noch. Zwei Dinge aber haben sich verändert. Der Zeitpunkt, wann Marktforschung durchgeführt wird und die Art und Weise, wie die Marktforschung durchgeführt wird. In der Automobilindustrie wurde das Feedback von chinesischen Kunden in der Vergangenheit häufig erst eingeholt, nachdem das Fahrzeug bereits vollständig entwickelt war. Die Automobilhersteller versuchten erst dann herauszufinden, wie man die Fahrzeuge für den chinesischen Markt anpassen kann.
Das hat sich jedoch drastisch geändert. Forschungsaktivitäten für den chinesischen Markt werden mittlerweile schon in der Entwicklungsphase durchgeführt. Damit wollen die Anbieter ihre Fahrzeuge stärker an den Bedürfnissen der zahlungskräftigen chinesischen Kundschaft ausrichten. Eine der meistgestellten Fragen lautet beispielsweise: Was ist Ihnen wichtiger beim Autokauf: Eine nahtlose Smartphone-Integration in das zentrale Bedienfeld oder ein perfektes Start-Stopp-System? Die Antworten können sich nämlich deutlich von den Antworten der deutschen Kunden unterscheiden. Genau diese Aspekte helfen, die Produktentwicklungsstrategie zu vervollständigen.
Zwischen den Zeilen lesen
Auf dem langen Weg vom Prototypen bis hin zum marktreifen Fahrzeug kann es Jahre dauern. Hier müssen Hersteller die aktuellen Informationen über die Kundenerwartungen und Wünsche an bestimmte Funktionen/Zusatzprodukte auch für die nächsten Modelle im Blick haben. Das erfordert ein massives Verständnis der lokalen Bedürfnisse, der Bedeutung von Autos für den Lebensstil und des Nutzerverhaltens im Fahrzeug. Die Hersteller müssen außerdem in der Lage sein, die kulturellen Anforderungen jenseits der Zahlen zu erkennen und für sich richtig zu interpretieren.
Zusätzlich stellen wir fest, dass die jungen Zielgruppen in China sehr offen für Innovationen auf dem Automobilmarkt sind. Sie sind bereit, neue Dinge auszuprobieren. Das sollten Marktforscher der Automobilindustrie nutzen. Agile Markforschungsmethoden können angewendet und so noch mehr relevante Informationen generiert werden. Auch die Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen kann man so effektiver vorbereiten. Das wiederum ermöglicht ein schnelleres Wachstum durch das Testen neuer innovativer Konzepte. Auch Sprints und MVPs (Minimum Viable Product) sind möglich.
Typische Herausforderungen im Automobilmarkt China
Nach wie vor wird häufig die Bedeutung des politischen, sozialen und kulturellen Hintergrunds eines Landes für die richtige Interpretation von Studien unterschätzt. Das ist ein wesentlicher Grund, der zu einem falschen Studienergebnis führt. In der quantitativen Forschung ist es üblich, dass die Studien in einem globalen Rahmen durchgeführt werden. Es wird ein einheitlicher Fragebogen entworfen und übersetzt – die Zielgruppe wird mit den gleichen Ausschlussfragen in allen Märkten als „national repräsentativ“ festgelegt.
In China kann das bedeuten, dass jemand aus Shanghai mit einem Jahreseinkommen von über 9.000 Euro (durchschnittliches Jahreseinkommen in Shanghai) gemeint ist. Und es könnte genauso gut jemand aus Nanyang zur Zielgruppe gehören. Hier liegt allerdings die Urbanisierungsrate unter 50 Prozent (ca. 60 Prozent ist die durchschnittliche Urbanisierungsrate in China) und das Jahreseinkommen beträgt etwa 3.800 Euro (durchschnittliches Jahreseinkommen in China 4.000 Euro). Diese beiden Personen könnten keine Überschneidungen in Bezug auf Soziodemografie, Mentalität und Lebensstil haben. Aber was haben sie gemeinsam? Shanghai und Nanyang gehören beide zu den 16 Städten in China, in denen mehr als 10 Millionen Menschen leben. Außerdem verfügen beide Städte über eine gute Internet-Infrastruktur, sodass auf quantitative Online-Studien zugegriffen werden kann. Wahrscheinlich gibt es in Nanyang sogar eine bessere Internetversorgung als in vielen deutschen Großstädten.
Ein großer Markt mit großen Unterschieden
Wie das Beispiel zeigt, können „nationale Repräsentanten“ in China sehr unterschiedlich sein. Somit sind auch unterschiedliche Studien-Ergebnisse zu erwarten, wenn man demografische Merkmale berücksichtigt. Außerdem kann die Zusammensetzung einer national repräsentativen Zielgruppe sehr wenig mit den eigentlichen Zielgruppen/Kunden der Hersteller zu tun haben, wie das Nanyanger Beispiel zeigt. Sicher, hier handelt es sich um zwei extrem unterschiedliche Zielgruppen und es gibt viele Personen, die sich dazwischen befinden. Das Beispiel soll aber verdeutlichen, dass vor jeder Studie die Zielgruppen und Screening-Kriterien sorgfältig diskutiert und von Studie zu Studie entsprechend den vorliegenden Informationen definiert werden müssen.