2018 ging die Chinesische Lebens- und Arzneimittelbehörde (CFDA) in die übergeordnete Struktur der National Medical Products Administration (NMPA) über und wurde damit dem Bereich der Marktregulierung zugeordnet. Im Zuge einer umfassenden Rationalisierung der staatlichen Organe wurde die NMPA dann der State Administration for Market Regulation (SAMR) unterstellt, die neben der NMPA auch die Administrationen für Qualitätsüberwachung (AQSIQ) sowie Industrie und Handel (SAIC) kontrolliert.
Die „Überseeinspektionen“ werden dort nun durch einen eigenen Bereich organisiert. Dadurch sollen die Abläufe effizienter und effektiver gestaltet werden. Mit dem vielfach für Unsicherheit sorgenden „Social Scoring“ hat dies alles nur am Rande zu tun. Bislang geht es dabei aus staatlicher Sicht eher um eine Normierung gesellschaftlichen Handelns, nicht um die Prüfung von Produktionsbedingungen. Dass China sein Auditing-System stärkt, ist daher nicht unbedingt Anlass zur Sorge.
Im Auditing treffen sich dabei harte und weiche Regulation, weshalb die Prüfer über umfassende Kompetenzen – darunter die Befugnis, einschlägige buchhalterische Informationen anzufordern (Jahresabschlüsse, elektronische Daten, Prüfungsberichte), zu prüfen (Rechnungsunterlagen, Geschäftsbücher, Finanzberichte, Computersysteme), Beweismittel zu sammeln (z.B. Konten) sowie verbindliche Maßnahmen (z.B. Versiegelung von Materialien und Vermögenswerte) zu erlassen, Amtshilfe zu beantragen und aufgedeckte Verstöße gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu bestrafen. Durch diese weitreichenden Möglichkeiten wird das Auditing mit dem Rechts- und Verwaltungswesen verknüpft und soll zugleich die technische Zuverlässigkeit der Abläufe und Transparenz der Angaben sichern. Wo Betrug entdeckt wird, greift das Strafrecht; wenn Standards nicht erreicht werden, erfolgen gezielte Maßnahmen zur Verbesserung; falls die Voraussetzungen nicht bestehen, werden Zulassungen entzogen. Ähnliches ist aus dem Umgang mit amerikanischen Inspektoren bekannt.
Chinas eigenes Auditing-System
Unterschiede zwischen chinesischen Inspektionen und Audits mit US- oder europäischen Inspektoren ergeben sich aus zwei Gründen.
Erstens: Chinas System befindet sich noch in der ersten Phase der Implementierung. Dabei möchte man anhand guter Praxismodelle ein Verfahren erproben, das der besonderen Herangehensweise Chinas entspricht und nicht nur „westliche“ Standards übernimmt. In der aktuellen Phase will China beim Auditing auch weniger kontrollieren, sondern viel mehr verstehen, wie das Auditing funktionieren kann.
Zweitens: Die Inspektionen beginnen bei Betrieben, von denen sie gute Performance und wenige Beanstandungen erwarten, denn zunächst läuft der Lernmodus des Auditing-Apparates weiter.
Man sollte sich aber nicht vorschnell in Sicherheit wiegen. Die Inspektoren arbeiten heute seriös und streng nach Protokoll – sie werden in Zukunft noch genauer und kritischer hinsehen. Im Umgang mit den Inspektoren ist besonders zu beachten, dass es sich um Teams mit spezifisch verteilten Kompetenzen handelt, die nicht ohne Weiteres erkennbar sind. Typischerweise treten sie zu viert auf, mit zwei technischen Spezialisten, einem Parteifunktionär und der behördlichen Leitung. Der Versuch, sie – wie es noch vor einer Generation im Umgang mit Delegationen aus China üblich war – durch vorauseilende Chinafolklore (Beflaggung), politische Rücksichtnahme oder womöglich Geschenke in einen Wohlfühlmodus zu versetzen, wird heute durchschaut und als Anbiederung bis hin zur versuchten Bestechung verstanden.
Hilfreich ist es, die unvermeidlichen sprachlichen oder kulturellen Missverständnisse nicht umgehen zu wollen. So kommt es vor, dass Titel und Kompetenzen der Inspektoren auf der deutschen Seite für Irritation sorgen, weil sie sich von den hier gewohnten unterscheiden. Oft treten z.B. die politischen Funktionäre nur mit Namen und ohne ausgewiesenen Titel auf. In Konfliktfällen wird man darüber hinaus mit den Auditoren kein Konfliktgespräch führen können, denn sie werden bemüht sein, nach außen als harmonische Einheit aufzutreten, auch wenn bei ihnen selbst Konflikte vorliegen.
Mit Vorbereitung zum Erfolg im Auditing-System
Stellen Sie sich auf einen offenen, anstrengenden, engagierten Dialog ein, auf viel Nachfragen und Klarstellung – und vergessen sie dabei nie, Geduld und Respekt zu üben. Gute Chinesischkenntnisse gehen weit über die Sprache hinaus: Es ist wichtig, auch die Informationen aus und über China richtig einzuordnen. Es kommt vor, dass chinesische Mitarbeiter in deutschen Unternehmen eher zur Verunsicherung als zur Aufklärung beitragen. Möglicherweise, weil sie sich mit den aktuellen Regularien nicht vertraut gemacht haben oder die Audits gar in die Nähe von Industriespionage bringen. Weshalb es für sie Grund zur Sorge ist, wenn China sein Auditing-System stärkt. Das das Land sich dadurch in Richtung moderner staatlicher Strukturen bewegt, widerspricht teilweise noch ihrer früheren Lebenserfahrung.
Das aus der vergleichbaren Erfahrung mit US-FDA-Inspektoren seit Langem erprobte System aus kombinierter Frontoffice- und Backoffice-Begleitung und einem Mock Audit dürfte auch hier helfen, mit chinesischer Soft-Skill-Expertise: Ein Berater fungiert als „Expert Translator“ an der Seite der auditierten Personen und überprüft im Backoffice die von der Behörde verlangten Dokumente, verzeichnet und antizipiert eventuelle Risiken im Inspektionsvorgang. Die Aufgabe des Translationsexperten besteht vor allem darin, die Übersicht über die Tendenz der Inspektion zu behalten, mögliche Widersprüche abzufangen und auf Umgang mit Missverständnissen vorzubereiten. Der einzig sinnvolle Umgang mit den Schwächen des eigenen Unternehmens, die im Auditing relevant werden können, besteht auch gegenüber Chinesen darin, diese selbst zu erkennen und angemessen zu kommunizieren.
Fazit
Dass Konflikte entstehen können, weil China sein Auditing-System stärkt, muss man nicht mit Sorge entgegensehen. Man begegnet ihnen am besten, indem man sie mit Augenmaß und begründetem Selbstbewusstsein benennt und eigene Lösungskompetenzen einbringt. Die wichtigsten Dos and Don’ts bei chinesischen Audits ergeben sich, indem harte und weiche Kompetenzen gleichermaßen zum Einsatz kommen: „Keine Panik“! Respektvoller Umgang! Hinsehen und Zuhören! Verbindlichkeit wahren!
Dr. Ole Döring
Dr. Ole Döring ist China-Analyst und Dozent für Kultur- und Technikphilosophie. Auf der Grundlage seiner 25-jährigen Forschung und Zusammenarbeit zu und mit China auf den Gebieten Governance, Innovation und Translation sind seine Spezialgebiete Tiefenanalysen, Coaching und Bildungsmaßnahmen zur Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft.