Stunde der chinesischen Käufer? – Das Märchen vom Ausverkauf der Wirtschaft

Im Zuge der Corona-Krise machen verstärkt Warnungen vor einem Ausverkauf der deutschen Wirtschaft die Runde – was ist an diesen Befürchtungen dran? Eine Analyse.

Unsicheres Umfeld

Dass es also zu einer schnellen und deutlichen Trendwende im Zuge der Corona-Krise in Sachen chinesischer FDIs in Deutschland kommt, erscheint in kurzfristiger Perspektive unwahrscheinlich – schließlich sind sämtliche Volkswirtschaften betroffen. China selbst verzeichnet im ersten Quartal 2020 einen massiven Rückgang der Wirtschaftsentwicklung um -6,8%. Das ist der erste Rückgang der Wirtschaft, seit die Volksrepublik diese Daten überhaupt erhebt. Die Regierung stellte bereits mehr als 1 Bio. CNY (ca. 130 Mrd. EUR) als erste Soforthilfen und Rettungsmaßnahmen zur Verfügung. Angesichts dieses nationalen Wirtschaftsumfelds erscheint die gemutmaßte „chinesische Shoppingtour“ ebenfalls unwahrscheinlich. Zwar scheint die Wirtschaft in China wieder anzulaufen – aber ob man wirklich wieder bei 90% bis 95% der Kapazitäten ist, wie aus chinesischen Regierungskreisen
verlautbart, erscheint zumindest unsicher.

Zudem trifft das Anlaufen der chinesischen Wirtschaft auf sich noch immer im „Lockdown“ befindende Volkswirtschaften im Westen.
Mit anderen Worten: Die von dort kommende Nachfrage bricht weg, weil die Konsumenten fehlen; zeitgleich können Zulieferer wichtige Teile nicht liefern, weil ihre Produktionsstätten
geschlossen wurden. Die chinesischen Fabriken müssen also entweder auf Halde produzieren oder können trotz verfügbarer Kapazitäten oftmals nicht produzieren. Ob bereits im Sommer
auch in Europa und den USA die Produktionen hochgefahren sind und die Wirtschaft zum Großteil wieder lauffähig sein wird, das steht in den Sternen. Eher dürfte ein Gutteil
an Unternehmen seine Arbeit noch nicht wieder ausreichend aufnehmen können. Auch die europäischen und US-amerikanischen Konsumenten werden sich insgesamt aufgrund ihrer
wegen des Lockdowns erlittenen massiven Wohlstandsverluste in Kaufzurückhaltung üben. Wie in einer solch unsicheren Lage jetzt Übernahmen getätigt werden könnten, erscheint fraglich; zumal die Chinesen, insbesondere die Finanzinvestoren, deutlich hinzugelernt haben.

 

Veränderte Due Diligence

Die Zeiten, als große Namen wie der Reifenhersteller Pirelli einfach eingekauft wurden, sind vorbei. Auch bei den Chinesen zählt die Due Diligence. Wie aber soll man Zahlen in einem Umfeld wie dem aktuellen bewerten? Schließlich braucht eine gelungene Übernahme Zeit – vieles muss geprüft werden, und dazu gehören auch Dinge, die über die reinen Zahlen hinausgehen, beispielsweise wie und ob die Unternehmenskulturen
zusammenpassen oder wie sich eine Übernahme auf die Marke auswirken könnte.

Schnellschüssen wird gerade in kritischen Wirtschaftszeiten keine große Zukunft beschert
sein. Allerdings suchen Unternehmen gerade in Zeiten wie diesen Liquidität. „Chinesen werden als Retter immer willkommen sein“, konstatiert denn auch Dr. Michael Krömker von der Anwaltskanzlei Luther. Ein klassisches Beispiel hierfür sei die kürzlich erfolgte Übernahme des insolventen Medizinproduktherstellers HEYER Medical AG durch die AEONMED-Gruppe,
ein Unternehmen für Anästhesie- und Beatmungsgeräte mit Sitz in Peking. Aber Dietmar Thiele, Managing Partner der Network Corporate Finance GmbH & Co. KG, stelle fest, dass die
Motivation hinter solchen Übernahmen keine altruistische ist: „Chinesische Investoren sehen sich nach meiner Erfahrung sehr genau an, was sie wirklich selbst brauchen können und
was nicht. ‚Retter‘ sein ist ganz sicher keine Motivation ihres Handelns, schon gar nicht bei M&A.“