Stunde der chinesischen Käufer? – Das Märchen vom Ausverkauf der Wirtschaft

Im Zuge der Corona-Krise machen verstärkt Warnungen vor einem Ausverkauf der deutschen Wirtschaft die Runde – was ist an diesen Befürchtungen dran? Eine Analyse.

Diversifizierung der Lieferketten

Allerdings lässt sich bereits jetzt konstatieren, dass der Ausbruch von COVID-19 die bisherige Struktur der Globalisierung ändern wird. „Nach der Epidemie werden die globalen Industrieproduktionsketten ihre Abhängigkeit von China reduzieren wollen, so Dewang CAO, Gründer von Fuyao Glass, gegenüber der chinesischen Tageszeitung Beijing News. In der Tat
dürften die Erfahrungen dafür sorgen, dass sich Unternehmen hinsichtlich ihrer Zulieferer- und Produktionsketten breiter aufstellen werden. Es steht eine regionale Diversifizierung zu erwarten. „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich Lieferketten verändern werden, und das wird Auswirkungen auf zukünftige Entscheidungen in Sachen M&A haben“, bestätigt Thiele Caos Perspektive und stellt weiter fest: „Das Thema ‚Lieferketten neu zu strukturieren‘
gilt dann aber für alle Käufer. Es werden sich daher für Verkäufer mehr und neue Optionen ergeben – nicht nur chinesische.“ Darüber hinaus wird auch versucht werden, Produktion zurückzuholen.

Vielen westlichen Unternehmen, vor allem aber den westlichen Staaten
wurde plötzlich schlagartig bewusst, wie abhängig man von China geworden war – nicht nur im Bereich der Pharmaindustrie beispielsweise, wenn rund 80% der Antibiotika bzw. der dafür
notwendigen Vorprodukte aus China stammen. Das Ziel: die Entwicklung zurückzudrehen und die entsprechende Produktion zurückzuholen. Japan hat damit bereits begonnen. Von seinem
Stimuluspaket in Höhe von knapp 1 Bio. USD stellt Tokio 2,2 Mrd. USD für Prämien bereit, die an Unternehmen fließen sollen, welche ihre Produktion entweder zurück nach Japan bringen
oder zumindest in Regionen außerhalb von China verlagern. Sowohl in den USA als auch in der EU könnten wir eine ähnliche Entwicklung erleben. In der Folge werden chinesische
Unternehmen gezwungenermaßen hier nachziehen, wenn sie weiterhin Zugang zu den Märkten Europas und der USA haben wollen.

Allerdings verweist EY-Partnerin Sun darauf, dass diese Entwicklung bereits lange vor Corona angestoßen worden sei und sich gerade
Produktionsketten eher weniger durch M&A-Transaktionen aufbauen ließen: „Standortabhängigkeit ist hier der entscheidende Punkt und weniger die Frage nach der Länderzugehörigkeit.“ Doch gerade für strategische Investoren dürfte die Frage nach den Marktzugängen noch wichtiger werden. Dies aber wird sich vermutlich weniger in einem Anstieg von Übernahmen durch strategische Investoren aus China niederschlagen als in mehr Joint Ventures und Greenfield Investments, wie sie beispielsweise bereits von Tencent mit seinen jüngsten Investitionen in Rechnerzentren in Frankfurt am Main getätigt wurden. Auch das große Investment, das der chinesische Batteriehersteller CATL mit dem Bau bzw. Ausbau seiner Fabrik in Erfurt unternahm, steht exemplarisch hierfür.

Es werden sich für Verkäufer mehr und neue Optionen ergeben.

Dietmar Thiele Managing Partner Network Corporate Finance

 

 

Fazit

Ein Ausverkauf der Wirtschaft entpuppt sich eher als „Märchen“ denn als Gefahr. Es deutet im aktuellen Umfeld wenig auf groß angelegte Übernahmen aus China hin. Die Warnungen der Politik lassen sich kaum nachvollziehen, im Gegenteil: Sie stimmen sehr bedenklich. Denn die sich abzeichnende Bereitschaft der Politik, die regulatorischen Hürden für ausländische Investoren immer weiter zu erhöhen, ist nicht nur ein massiver Eingriff ins Eigentumsrecht. Es untergräbt auch die marktwirtschaftliche Grundordnung weiter (Ausländisches) Investorenkapital ist nichts Schlechtes. Es fließt in Forschung und Entwicklung, rettet Firmen, lässt Start-ups wachsen und erleichtert Mittelständlern den Zugang zu den asiatischen Zukunftsmärkten. Auch wenn die Politik es zuweilen suggeriert, kann (und darf!) der Staat nicht alles finanzieren. Rein deutsche PE-Investoren gibt es aber
kaum. Wer also ausländischem Kapital den Zugang verwehren (oder ihn zumindest weiter einschränken) will, der sendet an Unternehmer ebenso an Investoren ein verheerendes Signal – gerade angesichts der durch COVID-19 verursachten, wirtschaftlichen Verwerfungen.