Während Chinas M&A-Aktivitäten in Deutschland 2016 sämtliche Rekorde brachen, hielten sich umgekehrt die Deutschen im Reich der Mitte weiterhin zurück. Nur acht deutsche Inbound-Deals mit überschaubaren Ticketgrößen wurden gezählt. In China sind es zumeist Mittelständler, die chinesische Partner oder Wettbewerber übernehmen. Unter welchen Bedingungen es für Unternehmen aus Deutschland Sinn machen kann, in China einen M&A-Deal zu stemmen, erklärt Stefan Kracht, Geschäftsführer von Fiducia Management Consultants, im Interview.
MA-Dialogue: Wie sehen Sie die Entwicklungskurve der deutschen und europäischen Inbound-M&A-Aktivitäten in den letzten Jahren?
Stefan Kracht: Innerhalb unseres Kundenstammes – überwiegend europäische Mittelständler – beobachten wir ein verstärktes Interesse an Übernahmen von chinesischen Unternehmen. Die Inbound-M&A-Aktivitäten standen in den vergangenen zwei Jahren etwas im Schatten der Outbound-M&A mit ihren turbulenten Höhen und Tiefen. Wir sehen jedoch eindeutige Indikatoren, die auf ein moderates, aber stetiges Wachstum im Inbound-M&A-Bereich schließen lassen.
Was treibt diese Entwicklung voran?
Den Haupttreiber dieses Trends bezeichnen wir als “China 2.0”. In diesem Begriff spiegelt sich der höhere Reifegrad der chinesischen Wirtschaft und auch die technologisch und qualitätsmäßig besser aufgestellten heimischen Wettbewerber der ausländischen Unternehmen wieder. Dieser qualitative Fortschritt hat für die Ausländer vielfach eine Phase mit moderaterem Wachstum eingeleitet. Da es damit für die europäischen Unternehmen schwerer wird, auf organischem Weg ihre Wachstumsziele zu erreichen, prüfen sie vermehrt Optionen im Bereich M&A.
Auf der Angebotsseite bedeutet “China 2.0” wiederum einen größer werdenden Pool an attraktiven Übernahmekandidaten: reife chinesische Unternehmen, die in puncto Produkt- und Servicequalität immer häufige auf Augenhöhe mit ihren europäischen Pendants sind. Auch in Bezug auf Transparenz der Buchhaltung und Corporate Governance ist deren Qualität gestiegen – besonders bei den IPO-Kandidaten.
Das Fehlen von Push-Faktoren, die heimische Unternehmer zum Verkauf bewegen, limitiert jedoch ein stärkeres Wachstum der Inbound M&A-Aktivitäten. Üblicherweise verfügen chinesische Unternehmen über einen einfachen Zugang zu Kapital und ein erhebliches organisches Wachstumspotenzial auf dem Heimatmarkt. Wieso also sollten sie an einen ausländischen Investor verkaufen? Eine interessante Antwort hierauf lautet: Generationswechsel. Wir treffen vermehrt chinesische Familienunternehmen an, die zu einem Verkauf bereit sind, sofern kein Plan für einen Nachfolger besteht. Da inhabergeführte Unternehmen Schätzungen zufolge momentan mehr als die Hälfte von Chinas BIP erwirtschaften, liegt in diesem Bereich künftig ein erhebliches M&A-Potenzial.
Welche Branchen stehen bei Inbound-M&A-Deals für Sie derzeit besonders im Fokus?
Bei unseren Kunden sehen wir hauptsächlich zwei Sektoren mit Übernahmeaktivitäten. In beiden Fällen zeigt sich ein moderates Wachstum mit gemäßigten Kaufpreisen – im Gegensatz zum Technologiesektor. Dort sind starke M&A-Aktivitäten mit hohen Goodwill-Zahlungen zu verzeichnen.
Zum einen sehen wir Chancen in verbraucherbezogenen Industrien wie Sportartikel und Verpackungen. Ein immenses Potenzial liegt in der wachsenden und immer stärker konsumorientierten chinesischen Mittelschicht. Diesbezüglich wollen sich ausländische Unternehmen rechtzeitig ihren Anteil am Kuchen sichern. Hinzu kommt, dass die Regierung Investitionen in diesen Sektor fördert. Denn sie will die Abhängigkeit von der Schwerindustrie und den Exporten reduzieren und das Land hin zu konsumbasierten Wachstum führen.
Der andere Sektor ist die herstellende Industrie. Hier ist der Treiber “Made in China 2025” – der Plan der Regierung, den chinesischen Produktionssektor weg von der Massenherstellung zu führen. Mit “Made in China 2025” unterstützt die Regierung den Einsatz heimisch produzierter Komponenten und Maschinen. Um neuen regulatorischen Vorgaben rechtzeitig zu begegnen, erwägen auch viele unserer industriellen Kunden M&A-Optionen.
Unter welchen Umständen ist eine Übernahme in China für deutsche Unternehmen sinnvoller als ein Joint Venture oder die Gründung einer eigenen Tochtergesellschaft?
Wir sehen folgende Hauptszenarien, beginnend mit den am häufigsten anzutreffenden:
- Schnellste “Route-to-Market”: Viele unserer Kunden übernehmen einen lokalen Wettbewerber, um ihren Marktanteil schnell vergrößern zu können. Fast zwei Drittel aller chinesischen Inbound-Akquisitionen im Jahr 2016 waren horizontale Integrationen.
- Diversifizierung: Sofern sich europäische Industrieunternehmen in China im High-end-Segment etablieren konnten, sind häufig die Wachstumsmöglichkeiten limitiert. Eine Chance bietet dann die Akquisition chinesischer Marken, um in das mittlere Preissegment vorstoßen zu können.
- Regulatorisches Umfeld: In manchen Fällen entscheiden sich ausländische Unternehmen für Übernahmen, um sich regulatorische oder kommerzielle Vorteile zu verschaffen, die sonst nur heimischen Unternehmen vorbehalten sind. Beispielsweise ist dies in der Medizintechnikbranche der Fall. Einige Krankenhäuser müssen einen bestimmten Prozentsatz ihrer Geräte bei heimischen Anbietern einkaufen. Derartige Vorgaben machen es für ausländische Verkäufer schwer, an Ausschreibungen teilzunehmen, geschweige denn sie zu gewinnen.
- Vertikale Integration: Ausländische Unternehmen, die zuvor stark auf Drittanbieter angewiesen waren, sind mit Blick auf “China 2.0” nun bereit, ihr Commitment im Land zu erhöhen und weitere Teile der Wertschöpfungskette zu integrieren. Wir betreuen sowohl Fälle von Rückwärtsintegrationen, bei denen Klienten ihre Lieferanten übernehmen, als auch Vorwärtsintegrationen, bei denen der Händler akquiriert wird.
Wie bewerten sie derzeit die Entwicklung des regulatorischen Umfelds in China für ausländische Übernahmen?
Positiv ist, dass die Regierung 2017 wichtige Schritte unternommen hat, um einige strikt regulierte Industrien zu liberalisieren. Der aktualisierte Foreign Investment Catalogue reduzierte beispielsweise die Anzahl der als “restricted” oder “prohibited” klassifizierten Unternehmensaktivitäten um ein Drittel (von 93 auf 63). Als noch bedeutender sehen wir die Ausweitung des Systems der “negative list” von den Freihandelszonen auf das ganze chinesische Staatsgebiet an. Dies bedeutet, dass Unternehmen auf weniger bürokratische Hürden stoßen, so lange ihre Investitionen nicht in eine der Kategorien innerhalb der “negative list” fallen.
Verschiedene Faktoren deuten darauf hin, dass der Trend hin zu einer Ausweitung der Liberalisierung anhalten wird. Erstens schwindet Chinas Kostenvorteil im internationalen Wettbewerb. Dies hat beispielsweise zu gesunkenen Foreign Direct Investments (FDI) im ersten Halbjahr 2017 geführt. Zweitens sieht sich China nun in der Pflicht, nach den Rekorden bei den Outbound-Investments im letzten Jahr die Kapitalbilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Zu guter Letzt ist sich China bewusst, dass man den Vorwürfen ausländischer Regierungen entgegenwirken muss, die von China den Eindruck haben, im M&A-Bereich nur eine Einbahnstraße zuzulassen.
Interessanterweise beobachten wir parallel dazu aber auch einen negativen Trend: selektiver Protektionismus. Mit “Made in China 2025” fördert die chinesische Regierung nicht nur lokale Hightech-Sektoren, sondern schützt diese auch. Manche Restriktionen dienen vor allem dem Zweck, den heimischen Wettbewerbern weitere Entwicklungszeit zu verschaffen. Dies geschieht aber auch zum Nachteil internationaler Firmen in China.
Wie sollten ausländische Käufer Ihrer Erfahrung nach am besten vorgehen, um das richtige Target zu finden und dabei die Risiken möglichst gering zu halten?
Investoren brauchen Erfahrung und Disziplin, um potentielle Gefahren im Zusammenhang mit einer Akquisition in China zu erkennen. Wer mit den lokalen Marktstrukturen, den kulturellen Unterschieden oder den Abläufen innerhalb eines chinesischen Unternehmens nicht sehr vertraut ist, wird manch klares Warnsignal übersehen. Gleichzeitig müssen die chinesischen Geschäftspartner auch die europäischen Unternehmen und deren Kultur verstehen, um den richtigen “Fit” zu erzielen.
Insbesondere folgende zentralen Aspekte sollten während des Akquisitionsprozesses berücksichtigt werden:
- Zielsuche: In der Regel sollte die Zielsuche eine umfangreiche Marktanalyse einschließen. Unternehmen müssen zuerst den Markt verstehen, bevor sie sich für die nachhaltigste Wachstumsoption entscheiden können. Welches Marktsegment hat die höchste durchschnittliche jährliche Wachstumsrate? Wie wird der Marktzugang im Segment sichergestellt? Eignet sich eine Akquisition am besten, oder ist doch eine strategische Partnerschaft sinnvoller?
- Verhandlungen: Die richtige Unterstützung bei Verhandlungen nimmt in China einen sehr hohen Stellenwert ein, da große kulturelle und strukturelle Unterschiede vorhanden sind. Beispielsweise treffen wir vielfach auf Situationen, in denen wir erst nach eingehenderer Nachforschung auf die tatsächlichen Entscheidungsträger stoßen.
- Sorgfalt: Wenn wir rechtliche, finanzielle und kommerzielle Due Diligences in China ausführen, ist es unser Leitkriterium, dauerhaften Wert für den Kunden zu schaffen. In China wirken viele Faktoren, welche die Nachhaltigkeit einer Akquisition langfristig gefährden könnten. Falls wir bei M&A-Aufträgen diesen Eindruck erhalten, empfehlen wir oftmals den Kunden, Ausschau nach einem neuen Target zu halten oder weiter auf organisches Wachstum zu setzen.
Herr Kracht, vielen Dank für das Interview.
Zur Person
Stefan Kracht ist seit 2012 Geschäftsführer von Fiducia Management Consultants und führt damit in Hong Kong und China die langjährige Familientradition des von seinem Vater Jürgen Kracht gegründeten Unternehmens fort. Stefan Kracht koordiniert die Zusammenarbeit der über 120 internationalen und chinesischen Consultants an den Standorten in Peking, Hong Kong, Shanghai und Shenzhen. Zusammen mit seinem Management-Team unterstützt er international tätige mittelständische Unternehmen bei der Etablierung und Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeiten auf dem chinesischen Markt und hilft ihnen dabei, den chinesischen Wirtschaftsraum und die Wettbewerbsumgebung besser zu verstehen. Stefan Kracht verfügt über umfangreiche M&A-Erfahrungen bei der Suche, Bewertung und Übernahmeverhandlungen mit chinesischen Unternehmen.
Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch