Digitaler Wandel beschleunigt Chinas Wachstum

Wir befinden uns in der für die Wirtschaft wichtigen Sommersaison und in vielen Länder hat die letzte Phase des jeweiligen Covid-19-Erholungsplans begonnen: die Wiederöffnung. Die Länder nehmen ihre Lockdowns sukzessive zurück – allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Während einige Bundesstaaten in den USA bereits neue Lockdown-Maßnahmen verhängen mussten, konnte beispielsweise die Schweiz ihre Infektionsraten weiterhin niedrig halten, obwohl sie schon weitgehend wieder zum «Normalbetrieb» zurückgekehrt ist. Einige, der in Europa und Nordamerika beschlossenen Maßnahmen, sind allerdings noch relativ neu. Ihre längerfristige Effektivität muss sich erst noch zeigen. China als das Land, das als erstes von der Krise getroffen wurde, wird diese logischerweise auch als erstes wieder überwinden. Daher kann man, wenn man das erste Epizentrum des Coronavirus genauer untersucht, schon jetzt langfristige Trends erkennen, die sich schrittweise auch weltweit zeigen werden.

Digitaler Wandel stützt Chinas Wachstum
Quelle: Adobe Stock; © WrightStudio

Bereits im März, als Europa erst den Lockdown verhängte, begann China seine über Monate andauernden Maßnahmen aufzuheben. Diese Zeit strenger Beschränkungen war in China kürzer als die Lockdowns anderer Länder und lässt sich teilweise auf Chinas Erfahrung im Umgang mit früheren Pandemien zurückführen. Da SARS und MERS in Asien stark verbreitet gewesen waren, war die chinesische Regierung besser vorbereitet als die vieler anderer Länder und konnte der zunehmenden Gefahr durch Covid-19 schneller entgegenwirken. Dank des kürzeren Lockdowns folgte dann auch logischerweise die schnellere Erholung der Konjunktur. Wichtiger Faktor dafür ist ein anhaltender digitaler Wandel, der das Wachstum beschleunigt.

Luxus- und Online-Unterhaltungssektor profitieren von Konsumerholung

Auch wenn der Konjunktureinbruch im Vergleich zum Westen von kürzerer Dauer war, ist das Leben in China auch jetzt noch bei weitem nicht zur Normalität zurückgekehrt. Reisebeschränkungen bestehen weiterhin und selbst wenn sie aufgehoben würden, verspüren viele Konsumenten vermutlich weiterhin wenig Lust, ins Ausland zu reisen. Das dürfte sich auch frühestens wieder ändern, wenn ein Impfstoff gefunden worden ist.
Da chinesische Konsumenten Luxusprodukte vorzugsweise im Ausland kaufen, erwarten wir daher – vor allem im Luxussektor – eine signifikante Erholung des Konsums in China. Zwar sind die Preise im Inland aufgrund von Zöllen höher, das Interesse an Luxusgütern ist aber unverändert stark. Derzeit haben die Konsumenten allerdings keine Wahl und müssen ihre Einkäufe im Heimatmarkt anstatt im Ausland tätigen.

Auch die Online-Unterhaltung dürfte davon profitieren, dass die Konsumenten bevorzugt zu Hause bleiben. Insbesondere der Bereich Videospiele entwickelt sich in Zeiten wirtschaftlicher Krisen oft überdurchschnittlich gut, da die Kunden versuchen, Geld zu sparen. Abgesehen davon, dass sie nicht verreisen können, dürften alle Konsumenten in der einen oder anderen Form von den Folgen der virusbedingten Schwäche des Marktes betroffen sein. Es steht zu erwarten, dass sie günstigere Unterhaltungsangebote wählen, anstatt in dieser Zeit viel Geld für Kinobesuche oder potenziell risikoreiche Familienferien auszugeben.

Der entscheidende Vorteil der Online-Unterhaltung liegt bereits im Namen – sie ist online verfügbar. Da die Konsumenten zurzeit Menschenansammlungen bewusst meiden, wählen sie im Gegenzug Angebote, die über das Internet verfügbar sind. Dieser Trend zum Online-Konsum ist nicht neu. Er bestand bereits vor der Pandemie, wurde jetzt aber durch die abrupten Lockdowns und die weiterhin nötige soziale Distanzierung beschleunigt. Dies resultierte in einer Stärkung der digitalen Infrastruktur, die von Dauer sein dürfte. In China zählen der Gesundheits- und Bildungssektor zu den Pionieren dieses Trends. Aufgrund ihrer Unentbehrlichkeit waren sie bereits im Vorfeld dazu gezwungen, moderne und vor allem Online-Technologien zu nutzen.

Digitaler Wandel als langfristiger Treiber für Wachstum

Das Gesundheitssystem der Volksrepublik hatte bereits vor Jahren mit Versuchen begonnen, die in China kulturell verwurzelte Reaktion zu überwinden, bei Krankheitssymptomen direkt das nächstgelegene Krankenhaus aufzusuchen. Dort warteten die Patienten häufig über Stunden, um anschließend nur zehn Minuten mit einem Arzt zu sprechen. Online-Angebote waren praktisch nicht existent. Um gegenzusteuern, hat die Regierung die Verbreitung von Online-Hausarztdiensten gefördert. Diese Dienste bieten gegen eine Gebühr rund um die Uhr die Möglichkeit, einen Arzt online zu konsultieren. Anschließend liefern Apotheken die verschriebenen Medikamente innerhalb nur weniger Stunden. Diese Gesundheitsleistungen für zu Hause können auch nach dem Abflauen der Coronavirus-Krise dauerhaft dazu beitragen, die Überfüllung der Krankenhäuser zu verringern und somit die Effizienz des gesamten Gesundheitssektors in China zu verbessern.

Darüber hinaus spielt die chinesische Kultur auch bei der Entwicklung des Bildungssektors eine wichtige Rolle. In China ist Bildung ein potenziell lebensveränderndes Instrument. Sie dient Bedürftigen dazu, sozial aufzusteigen. Da viele Schulen weiterhin geschlossen sind, ist Online-Bildung zur Notwendigkeit geworden. Daher wird sie auch von den Eltern und Schülern gerne als Alternative angenommen. Sie ermöglicht es ihnen, die Schule als Teil ihres Lebens zu behalten. Mit Unterstützung großer privater Bildungsunternehmen wurden in kurzer Zeit verschiedene Maßnahmen eingeführt, um einen effektiven virtuellen Unterricht sicherzustellen. In den angebotenen Online-Klassen werden unangekündigte Tests durchgeführt. So werden die Lernergebnisse und -fortschritte nahezu unmittelbar erfasst und benotet. Dadurch wiederum werden Daten gewonnen, die eine Beurteilung der Aufmerksamkeit und des Lernfortschritts der einzelnen Schüler ermöglichen. Insbesondere die Eltern haben diese Möglichkeiten schnell zu schätzen gelernt. Sie werden sie vermutlich auch dann weiter nutzen wollen, nachdem alle Lockdown-Beschränkungen aufgehoben sind.

Fazit

Bei GAM Investements gehen wir davon aus, dass sich ein digitaler Wandel mit entsprechendem Wachstum bei Onlineageboten und einem zunehmend digitalen Leben, wie wir ihn jetzt in China sehen, auch in anderen Ländern auf der Welt widerspiegeln wird. Unterhaltung, Bildung, Gesundheitswesen – in jedem dieser Sektoren bestand bereits vor der Corona-Pandemie der Trend hin zu mehr und umfassenderen Onlineangeboten. Diese Entwicklung ist durch die Krise noch weiter beschleunigt worden. Während die globale Konjunkturerholung langsam voranschreitet, ist China bereits jetzt Vorreiter für Online-Trends, die sich langfristig zu tragenden kulturellen Säulen entwickeln werden.

Jian Shi-Cortesi GAM Investments
Jian Shi Cortesi

Jian Shi Cortesi ist seit 2010 als Portfoliomanagerin für asiatische Aktien und insbesondere für den GAM China Evolution Fund bei der GAM Group tätig. Zuvor arbeitete sie als Analystin für asiatische Aktien, Anlagestrategin mit Fokus auf Asien sowie Senior Investment Officer Asien-Pazifik für eine regionale Vermögensverwaltungsfirma in den USA.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch