Wo steht „Made in China 2025“?

Wo steht China 2025?
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Mit »Made in China 2025« hatte die chinesische Regierung den Plan ausgegeben, die Technologie- und Marktführerschaft in zehn Industriezweigen aufzubauen. Dafür wollte man gezielt Investitionen in ausländische Hochtechnologiefirmen vornehmen, aber auch die Binnenkonjunktur sollte gestärkt werden. Mittlerweile hat das 2015 gestartete Programm Halbzeit. Zeit für eine Bestandsaufnahme und Einordnung darüber, was heute die zentralen Handlungsfelder und Schlussfolgerungen für Investoren sind.

1. Wie setzt China seine Strategie „Made in China 2025“ aktuell in Schlüsselbranchen um (Erfolge, Innovationen, Verzögerungen, Probleme/Schwierigkeiten, Strategieänderungen etc.)?

Corinne Abele
Korrespondentin für China in Shanghai, Germany Trade and Invest (GTAI)

„Made in China 2025“ macht in den chinesischen Medien kaum noch Schlagzeilen. Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen möchte man es aufgrund der negativen internationalen Reaktion auf die enthaltenen Selbstversorgungs- und damit Importsubstitutionsziele aus der Schusslinie bekommen – gerade vor dem Hintergrund des sich weiter zuspitzenden Technologiekonflikts mit den USA. Zum anderen bedeutet es, dass die Umsetzung läuft, die Gelder verteilt sind und man die Roadmap für die identifizierten Schlüsseltechnologien in den zehn strategischen Bereichen wie Biotech, alternative Antriebstechnik, moderne IKT oder neue Materialien mithilfe gezielter Aktions- und Entwicklungsprogramme abarbeitet und ausfeilt. Der Fokus liegt dabei zunehmend auf der Herausbildung regionaler Industriecluster.

Für China hat sich dabei gezeigt, dass Subventionen allein keine internationalen Spitzentechnologien hervorbringen und überdies teuer sind. Das beste Beispiel dafür sind Elektroautos. Chinesische Automobilhersteller umzupolen und Elektroautos in den Markt zu drücken hat China viel Geld gekostet, aber bislang keine Technologiedominanz begründet, was übrigens auch der erfolgreiche Markteintritt von Tesla untermauert. Ich sehe daher Chancen für Elektromodelle deutscher Autobauer, die 2021 in größerer Zahl auf dem chinesischen Markt sein werden. Gleichzeitig ist die Volksrepublik mit rund 1,2 Mio. im Jahr 2019 verkauften Fahrzeugen mit alternativem Antrieb ihrem Etappenziel von 2 Mio. anno 2020 auf der Spur. Auslaufende Subventionen und Auswirkungen der COVID-19-Krise haben – abgesehen von Tesla-Modellen – jedoch zu einem deutlichen Einbruch der Nachfrage geführt, die nur langsam wieder anspringt.

Beim Ausbau der 5G-Kommunikationsinfrastruktur, bei Biotech oder alternativen Energien ist die Dynamik hingegen weiterhin groß. Auch bei den in der Strategie „Made in China 2025“ benannten Querschnittsthemen wie der Weiterentwicklung des Standardisierungssystems und der Marktüberwachung gibt es bereits Etappenergebnisse: So ist 2018 die neu eingerichtete Superbehörde für Marktüberwachung (State Administration for Market Regulation; SAMR) entstanden. Zudem hat die Ausarbeitung von „China Standards 2035“ Gestalt angenommen. Tendenziell steigen dabei Gestaltungsraum und Eigenverantwortung der Unternehmen – bei verstärkter Kontrolle der Anforderungen.

Anna Holzmann
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, MERICS

Das Label „Made in China 2025“ ist zwar seit Sommer 2018 fast völlig verschwunden
– die Strategie ist aber in ein Netzwerk an Initiativen wie Internet Plus oder der KI-Strategie eingebettet, mit dem die chinesische Regierung ihre Ziele zur Modernisierung der Industrie und zur Stärkung des Innovationssystems munter vorantreibt. Die zehn Fokusindustrien von Made in China 2025 werden dabei allerdings nicht im gleichen Maß verfolgt. Chinas Fortschrittsbestrebungen konzentrieren sich auf technologische Komponenten in zwei Bereichen.
Zum einen sind dies Zukunftsbranchen, in denen China nicht erst Technologierückstände aufholen muss, sondern gleich von Beginn an selbst globale Standards setzen kann. Dazu zählen moderne Informationstechnologien wie z.B. Quantenkommunikation, die industrielle Anwendung von künstlicher Intelligenz und Fahrzeuge alternativer Antriebstechnologien.
Zum anderen sind dies Sektoren, in denen China noch große Schwachstellen aufweist, z.B. bei neuen Materialien wie Hochleistungskeramik, komplexen Fertigungsanlagen und Hochleistungschips.

Das Zwischenfazit fällt gemischt aus: Bei 5G gilt China bereits als globaler Vorreiter; 2025 werden Schätzungen zufolge aber nur 21% statt der angestrebten 70% des chinesischen Markts mit Chips „Made in China“ bedient.

Dr. Mirko Wormuth
Partner, Awesome Capital

In den chinesischen Medien ist das Thema „Made in China 2025“ verschwunden, aber seine Essenz wird weiter verfolgt. Weitgehend ähnliche Inhalte sind nun unter dem neuen Schlagwort New Infrastructure wiederzufinden. Die Fortschritte darin seien an nur einem Beispiel verdeutlicht: Im Bereich der 5G-Infrastruktur wurden allein dieses Jahr von China Unicom und China Mobile landesweit über 680.000 Basisstationen errichtet und damit 50.000 mehr, als der ursprüngliche Plan es vorsah. Die Stadt Shenzhen ist mittlerweile mithilfe von 46.000 5G-Basisstationen vollständig abgedeckt.

Im Rahmen der voranschreitenden Digitalisierung sind dies perfekte Bedingungen, die Kommerzialisierung von 5G voranzutreiben. Nach einem Bericht der China Academy of Information and Communications Technology werden allein dieses Jahr noch 900 Mrd. RMB in die Kommerzialisierung von 5G fließen.

2. Welche Auswirkungen hat die Corona Krise auf die Made in China Strategie 2025?

Corinne Abele

Die Corona-Krise hat den bereits in der Strategie angelegten Fokus auf Informatisierung sowie Digitalisierung verschärft. China denkt Digitalisierung umfassend und treibt sie gemäß seiner Vision voran: Die Schnittstellen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Staat sind zahlreich und gewinnen im internationalen Wettbewerb an Bedeutung. Darauf müssen sich auch deutsche Firmen vor Ort einstellen. Denken Sie nur an den Einsatz von QR-Gesundheitscodes während der Corona-Pandemie, die digitalen Zahlungsverfahren oder die anvisierte papierlose Abwicklung von Cross-Border-E-Commerce.

Anna Holzmann

Die Corona-Krise wirkt in zweierlei Hinsicht als ein Katalysator für Made in China 2025. Erstens wird im Rahmen von Stabilisierungs- und (Wieder-)Belebungsmaßnahmen der chinesischen Wirtschaft auf den Ausbau moderner Infrastruktur gesetzt, etwa für Informationstechnologie und Forschung.
In den nächsten fünf Jahren werden Investitionen in Chinas digitale Infrastruktur in Höhe von mehr als 1 Bio. EUR erwartet. Modernisierungsmaßnahmen des Industriestandorts China wie der Ausbau der 5G-Netzwerke oder die Digitalisierung von Industrieclustern werden im Sinne von Made in China 2025 also fortgesetzt.

Zweitens führten Unterbrechungen globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten gepaart mit zunehmendem Entkopplungsdruck aus den USA dazu, dass der chinesische Binnenmarkt im Rahmen der Dual-Circulation-Strategie stärker ins Zentrum rückt. Die Abhängigkeit vom Ausland soll verringert, des heimischen Wirtschaftssystems gestärkt werden. Hier spiegelt sich ein weiteres Kernelement von Made in China 2025 wider: die Substitution bzw. Verdrängung ausländischer Produkte sowie Technologien durch chinesische Alternativen.

Dr. Mirko Wormuth

Wie für viele andere Länder und ganze Industriesegmente hat die Corona-Krise auch für China einen beschleunigenden Effekt gebracht. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten; digitale Ökosystembetreiber wie Alibaba, Tencent, Huawei, Xiaomi und Bytedance hat sie enorm beflügelt. Die chinesischen Techgiganten haben in wichtigen Teilen das Mandat der Regierung zur Umsetzung erhalten, einen Beitrag für ihr Land und dessen digitale Infrastruktur zu leisten. Geschäfte wollen sie natürlich trotzdem machen.
Zwei konkrete Fälle dazu: Vor Kurzem hat Alibaba seine erste digitale „Smart Factory“ in Hangzhou geöffnet. Das Projekt heißt „fast rhino“ und ist die erste datengetriebene Fabrik, die ondemand für Verkäufer auf TMall produziert und komplett mit Produktionsmaschinen auf der Basis des 5G Internet of Things eingerichtet ist.

Aber auch das durch COVID-19 noch einmal verstärkte Livestreaming mit dem Aspekt des ECommerce 2.0 verändert die digitale Infrastruktur Chinas; es hat vielen Händlern und ihren Millionen von Angestellten geholfen, Einkommen von zu Hause oder den leeren Geschäften aus zu generieren und besser durch die Krise zu kommen. Dieser neue Kanal verspricht zukünftige Umsätze von mehreren Bio. RMB. Das Marktforschungsunternehmen iResearch schätzt, dass in China allein dieses Jahr schon mehr als 136 Mrd. USD mit umgesetzt werden.

3. Welche Schlussfolgerungen sollten deutsche (ggf. auch chinesische) Unternehmen und Investoren aus den Analysen der ersten zwei Antworten ziehen?

Corinne Abele

Sie müssen eine kritische und ehrliche Bestandsaufnahme ihrer digitalen Wettbewerbsfähigkeit vornehmen und rasch reagieren: Verfüge ich über die notwendige Hard/Software und das notwendige Knowhow? Wie bleibe ich für umkämpfte IT-Spezialisten ein attraktiver Arbeitgeber? Kann ich in meiner Firma Datensicherheit garantieren? Wie bin ich in den für meine Branche wichtigen digitalen Ökosystemen – von den Marketingmöglichkeiten über WeChat bis hin zu Apollo, Baidus offener Plattform für autonomes Fahren – unterwegs?
Dazu zählt auch, für künftige Industriestandards bedeutende und häufig mit staatlicher Initiative gegründete Industrieallianzen im Blick zu behalten, beispielsweise in den Bereichen Industrial Internet, Internet of Things, künstliche Intelligenz oder 5G. Bin ich zudem firmenintern auf das schnelle Ausrollen von 5G in China vorbereitet? So hat beispielsweise BMW bereits 2019 drei Werke seines Joint Ventures BMW Brilliance Automotive in Shenyang komplett mit 5G ausgestattet; Erweiterungen sind in Bau und Planung.

Gleichzeitig müssen Tochterfirmen vor Ort ihren Headquartern in Deutschland die Dynamik von innovativem Wettbewerb und digitalem Fortschritt auf dem chinesischen Markt verdeutlichen, damit Entscheidungen zeitnah getroffen werden können. Die Greater Shanghai Innovation Survey 2018/19 der deutschen Auslandshandelskammer in Shanghai identifizierte deutsche Headquarter als ein Haupthindernis für Innovation in China.

Anna Holzmann

Will man in oder mit China Geschäfte machen, ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem strategischen Kontext essenziell: Welche Ziele verfolgen chinesische Partner, und wie fügt sich das in die Zielerreichung der chinesischen Führung ein? Im Rahmen der chinesischen Modernisierungsstrategie bieten sich auch für ausländische Unternehmen Chancen.
In Bereichen wie Industriesoftware und hochklassiger Medizintechnik ist China noch auf ausländische Expertise angewiesen. Auch zeigen nationale Leitfonds wie z.B. zur Entwicklung der chinesischen Chipindustrie an, in welchen strategisch wichtigen Bereichen die chinesische Regierung Investitionen willkommen heißt.
Außerdem plädiere ich für eine Erweiterung des Entscheidungshorizonts, sodass kurzfristige Profitaussichten inkl. Risiken eines ungewollten Technologietransfers im Kontext eines längerfristigen Innovationswettbewerbs abgewogen werden.

Dr. Mirko Wormuth

Auch wenn es in Deutschland nicht so populär ist: Wir müssen uns weiterhin konstruktiv mit China engagieren. Keine Frage – wir sind Partner und Rivalen zugleich. Ähnlich wie bei einer sich schnell drehenden Münze kann man Kopf und Zahl fast gleichzeitig sehen.
So wird auch unser Blick auf den Rivalen und Partner China sein müssen. Dabei gibt es viel, das wir beitragen, aber auch von China lernen können.

4. Was sind die zentralen Handlungsfelder für Unternehmen für die nächsten 5 Jahre der Made in China Strategie 2025?

Corinne Abele

Alles wird sich um die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit drehen, denn chinesische Konkurrenten werden stärker – das bestätigen Umfragen in nahezu allen Branchen. Bereits jetzt sind chinesische Firmen wie Haier, DJI, CATL, COFCO und natürlich Huawei weltweit unterwegs und zählen in den jeweiligen Sektoren zu den Spitzenunternehmen.
Hinzu kommen durch staatlich verordnete Fusionen entstandene Giganten wie China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) oder China COSCO Shipping Corporation.
Wer aufgrund der Corona-Krise jetzt in China technologisch und digital nicht am Ball bleibt, wird Marktanteile an seine chinesischen Herausforderer verlieren – zunächst in der Volksrepublik und dann weltweit.

Gleichzeitig müssen sich deutsche Unternehmen auf die wachsende Innovationsfähigkeit des chinesischen Markts und steigende Kundenanforderungen einstellen. Das geht nur mithilfe von Investitionen in Innovation. Sich aus dem chinesischen Markt zurückziehen ist trotz möglicher Decoupling-Szenarien keine Lösung.
Dabei werden digitale Ökosysteme das Miteinander von Kooperation und Wettbewerb in China sowie weltweit verstärken. Wer „Coopetition“ kann, wird vorne mit dabei sein.

Anna Holzmann

China befindet sich noch mitten in der vierten industriellen Revolution. Internationale Kooperationen und Investitionen im Bereich der Digitalisierung und des Internets der Dinge werden noch auf Jahre gefragt sein. Auch das Thema nachhaltiger Entwicklung – Stichwort „grüne Fertigung“ und Umwelttechnik – wird von großer Bedeutung sein. Das frisch gesetzte Ziel von Jinping Xi, bis 2060 ein CO2-neutrales China zu haben, lässt auf viel Dynamik im Umweltbereich hoffen.
Mehr Details zur wirtschaftlichen Schwerpunktsetzung sowie Zielvorgaben für die nächsten fünf bis 15 Jahre sind ausgehend von der 5. Plenarsitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas zu erwarten.

Dr. Mirko Wormuth

Als Unternehmer und Investor steht für mich immer der China Speed ganz vorne an. Neues wird in China mit hoher Geschwindigkeit vorangetrieben. In Europa sind wir zu langsam und träge geworden. Beispiel Elektromobilität: Es ließe sich behaupten, dass China in den letzten fünf Jahren hier enorme Ressourcen verschwendet habe, um lokale Champions aufzubauen, um den nicht mehr aufzuholenden Rückstand bei der Entwicklung von Verbrennungsmotoren wettzumachen. Dennoch: Aus den Hunderten von NEV-Startups sind mit NIO, Xpeng, WM Motor und Li Auto vielversprechende Marken mit anständigen Verkaufszahlen entstanden.
Wie viele neue heranreifende und unabhängige Elektroautomarken haben wir in Deutschland am Start?

Große Unternehmen ebenso wie Startups müssen sich in die chinesischen  Ökosysteme begeben, sich auf Partnersuche machen und die Inte gration in die bestehenden Plattformen suchen. Nur wer sich diesem Wettbewerbsdruck aussetzt, trainiert die wichtigen Digitalmuskeln.
Beschweren über chinesische Geschäftspraktiken hilft nicht. So geht es bei chinesischen Geschäftsleuten auch untereinander zu. Nur Schnelligkeit, ständige Innovation und starke Partner können hier schützen. Ein dickes Fell hilft natürlich auch.

 


Die Experten

Corinne Abele, GTAICorinne Abele leitet seit 2014 den Bereich Außenwirtschaft von Germany Trade & Invest (GTAI) in Shanghai. Zuvor war sie für GTAI in Beijing und davor für die Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) in Taipeh, Taiwan, tätig. Die Journalistin, Diplom-Volkswirtin und Osteuropa-Historikerin analysiert damit seit zwei Jahrzehnten das Wirtschaftsgeschehen und die Branchenentwicklungen vor Ort im chinesischsprachigen Raum. Zu ihren Spezialthemen zählen Innovation, Digitalisierung, Umweltschutz sowie Wettbewerbscharakteristika in China.

Anna Holzmann, MERICSAnna Holzmann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator Institute for China Studies (MERICS). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei Chinas Industriepolitik und nationalem Innovationssystem. Zuvor arbeitete sie unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Anna Holzmann hat Internationale Betriebswirtschaft, Sinologie sowie Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens in Österreich, Australien und China studiert.

Dr. Mirko Wormuth, Awesome CapitalDr. Mirko Wormuth ist Partner bei Awesome Capital. Nach Stationen bei McKinsey und Freshfields hat er mehrere chinesische Startups in den Bereichen Offline-Einzelhandel, E-Commerce, Markteintrittsberatung und Reiseeinzelhandel gegründet. Er ist außerdem Mitbegründer eines Newsletters über digitales China namens „Chinabriefs“. Bis vor kurzem war er als Global Head of HR bei BYTON tätig.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch